Überall hört man es: Unternehmen sollen sich endlich wandeln. Man hat das Gefühl, auf jeder Konferenz wird davon gezwitschert. Ja, sogar Nerd-Formate wie der Twitwoch haben sich mittlerweile dem Thema “Digitale Transformation” zugewendet. Aus Sicht der Nerds steckt dahinter natürlich die Hoffnung, die etablierten Firmen würden nun endlich aufwachen und entsprechende Budgets lockermachen. Die Digitale Bohème scheint das Herumsitzen in Cafés langsam satt zu haben. Und wie lautet das Motto der diesjährigen CeBit? Na, sowas: Digitale Transformation.
Die Botschaft ist klar und eindeutig: die deutsche Wirtschaft – und vor allem der deutsche Mittelstand müssen sich digital besser aufstellen, wenn die Wettbewerbsfähigkeit des Standort Deutschlands nicht in Gefahr geraten soll. Und bei solchen Tönen wird man in Deutschland dann in aller Regelmäßigkeit wach.
Phase 1: Der Wille zählt
Überall sind also Initiativen aus dem Boden geschossen, die dem armen Tier namens Mittelstand helfen wollen, endlich eine ‘Digitale DNA’ zu entwickeln. Die IHK Köln hat sogar eine Initiative namens “Digital Cologne” gestartet.
Im November letzten Jahres drückten die Initiatoren dann – übrigens gemeinsam mit dem extra aus Düsseldorf angereisten NRW-Wirtschaftsminister – dann den roten Knopf zum Start in eine digitale Zukunft. Zack! Sehen Sie selbst:
Das sieht schon beeindruckend aus! Köln startet durch in die digitale Zukunft.
Nach anfänglicher Euphorie fragt man sich leise: Erst jetzt? Und wagt gar nicht danach zu fragen, was denn all die Internet-Agenturen und Software-Firmen in Köln in den letzten 20 Jahren so getan haben, dass es nun der IHK-Chef persönlich anpacken muss?
Am Mangel an Angeboten scheint es nicht zu liegen: es gibt in Köln den Startplatz, den Solution Space, eine einwöchige Internetwoche Köln, organisiert von der Kölner Internet Union, das einwöchiges Festival “Interactive Cologne”. Und da wären noch die inzwischen wohl weltgrösste Messe für Online-Marketing namens DMEXCO und Spezialkonferenzen wie die Content Marketing Conference in der Wolkenburg. Wer immer noch nicht genug hat, kann sich auf nerdhub.de schlau machen, was alles in so in Sachen Internet in Köln läuft.
Um es kurz zu machen: es ist so viel, dass man jeden auslachen möchte, der meint, aus Mangel an Angeboten und Vernetzung vom Rheinland nach Berlin ziehen zu müssen. Ein Mensch allein schafft den Parcours einfach nicht, wenn er ab und zu noch mal arbeiten möchte. Und nun soll also noch ‘Digital Lab’ unweit des Doms im jetzigen Solution Space dazukommen.
Sicher ist es lobenswert, wenn die IHK den kölschen Mittelständlern den Weg bei den digitalen Herausforderungen erleichtern will und als Katalysator vernetzen will. Der Kölner IHK-Geschäftsführer Ulf Reichardt ist sehr umtriebig unterwegs.
Und wenn damit nur erreicht wird, dass der Durchschnittsmittelständler versteht, dass eine digitale Strategie mehr ist als der Relaunch der Unternehmenswebsite, dann hat er mit seiner Initiative schon viel erreicht.
Phase 2: Das gemeinsame Geisterbahnfahrt
Die derzeit von Flensburg bis Garmisch-Patenkirchen stattfindenden Veranstaltungen rund um das Thema Digitalisierung haben nämlich einige Gemeinsamkeiten, die man durchaus als auffällig bezeichnen kann.
Gern laufen die Treffen in etwa so ab: vorn am Rednerpult werden tolle Zahlenspiele aufgeführt: “In jeder Minute werden weltweit 60 Millionen Tweets abgesendet!” Man erfährt, dass YouTube innerhalb der letzten fünf Minuten soundsoviel Videos abgespielt hat oder dass amerikanische Kaufhausketten schon zu twittern anfangen, wenn man in hundert Metern Entfernung einen Hot Dog gegessen hat.
Das Publikum fühlt sich wie auf dem Jahrmarkt – in einer Mischung aus Achterbahnfahrt und Gruselkabinett. Aber haben diese Dinge auch einen wirtschaftlichen oder sogar strategischen Mehrwert?
Falls sich wirklich einmal einer dieser ominösen Mittelständler, die jetzt gerade aller erreichen möchten – wirklich auf einem solchen Format befindet – was soll sich der durchschnittliche Reifenhändler fragen? Was soll er mit nach Hause nehmen außer dem guten Gefühl, endlich wieder zuhause zu sein, wenn man von der Kirmes kommt…
Die nicht zu überhörenden Botschaften lauten: Sie sind nicht dabei – weil Sie wieder irgendetwas anderes getan haben, anstatt endlich einmal Ihre Website zu überarbeiten!
Von oben ruft es der staunenden Menge zu: Ihr müsst Euch endlich transformieren! Apple baut Plattformen und Ihr habt noch nicht einmal eine App!
Diese Art von Treffen hinterlassen bei allen ein gutes Gefühl: entweder man fühlt sich bestätigt, richtig zu liegen oder man hat sich wenigstens richtig gegruselt, wie schlimm und anders die Zukunft wird.
Was genau “Digitale Transformation” sein soll und welche konkreten Schritte ein Unternehmen gehen sollte, erfährt man selten. Für die meisten geht am nächsten Tag der alte Bürotrott weiter (muss ja). Aber wenigstens weiss jeder Bescheid, wenn in der Zeitung (oder im Internet) mal wieder von Apple berichtet wird.
Allen ist aber klar: es ist eine gefährliche Zeit, wir sitzen auf der Titanic. Bald wird es vorbei sein.
Phase 3: der digitale Haka
Beim polynesischen Volk der Maori tanzt man den Haka, einen rituellen Tanz, der Gemeinschaftsgefühl erzeugen soll und den Zusammenhalt gegen Feinde von außen stärken soll (wen es genau interessiert: Wikipedia). Er wurde häufig auch vor kriegerischen Auseinandersetzungen getanzt. Die neuseeländische Rugby-Nationalmannschaft führt den Haka vor jedem Spiel auf, um den Gegner einzuschüchtern und sich selbst anzutreiben.
Wer sich anschaut, welche digitale Weltmacht da jenseits des Atlantiks aufgebaut wird und welche Eroberungsansagen von Unternehmen wie UBER an die Adresse auch deutscher Kleinunternehmer zu hören sind, sieht sofort ein, dass es da nicht schaden kann, ein wenig den Haka zu tanzen. Noch besser allerdings wäre es, nach dem Tanz, konkrete Maßnahmen zu starten. Ob die ganze Folklore nämlich helfen wird, ist durchaus fraglich.
Die Frontalformate erfüllen also das zutiefst menschliche Bedürfnis, sich gegenseitig zu versichern, die Gefahren erkannt zu haben, und daher nicht allein, sondern gemeinsam auf dem richtigen Pfad, nämlich dem der Transformation hin zum Digitalen zu sein.
Phase 4: Nun muss geliefert werden
Was sich gerade in Köln abspielt, findet also auch in anderen deutschen Städten wie Stuttgart, Frankfurt oder München statt. Digital scheint es auf breiter Front voran zu gehen. Digital wird Mainstream.
Die meisten Internet-Agenturen empfehlen ihren Kunden mittlerweile, Ihr Geschäftsmodell digital zu transformieren – die Begriffe werden immer wieder neu ausgetauscht – aber dieses Mal geht es um einen ganzheitlichen Blick auf das Digitale – und das ist zunächst einmal eine sehr gute Entwicklung.
Solange derartige Initiativen offene und vernetzte Entwicklung bleiben und nicht zu Hinterzimmer-Veranstaltungen – einer Art ‘Digitalem Klüngel’ – degenerieren, wäre das eine durchaus positive Entwicklung.
Allerdings sollte jedem klar sein, was es bedeutet, die Unternehmen aufzurufen sich grundlegend zu erneuern: es müssen richtig wegweisende Konzepte entwickelt werden! Kein Mittelmaß, kein Abklatsch.
Aber nicht nur die Otto-Normal-Mittelständler müssen sich ändern, wenn wirklich eine neue Stufe der Wertschöpfung erreicht werden soll (denn nichts anders kann ‘Digitale Transformation’ bedeuten).
Nein – der Forderung gilt es seitens der Digitalwirtschaft erst einmal selbst gerecht zu werden. Dazu müssen sich jedoch der Beratungsansatz sowie die Networking-Formate erheblich verändern. Ich bin mir nicht sicher, ob sich alle darüber im Klaren sind.
Phase 5: Aufstieg oder Ernüchterung
Am Ende werden auch die wildesten Kriegstänze nicht reichen, um die digitalen Supermächte in die Schranken zu weisen. Für viele Mittelstandsunternehmen wird es keine Transformation mehr geben – sie werden aus dem Markt ausscheiden.
Die Erfahrung aus zwanzig Jahren Internet könnte man so zusammenfassen: das Internet ist ein globales Phänomen und am Ende gewinnt immer eine amerikanische Firma. Der tiefere Grund liegt in der viel zu niedrigen Kapitalisierung der europäischen Startups. So kommt es irgendwann unweigerlich zur Übernahme. Es müssen also nicht mehr Tweets, sondern es muss mehr Geld und mehr Vernetzung zu relevanten Playern ins System.
Und gegen so eine Kraft hilft es nicht, sich an Bäume zu ketten, den digitalen Haka aufzuführen oder dagegen anzutwittern. Aber es macht vielleicht Mut, sich den Dingen zu stellen – wenn man dabei nicht stehenbleibt, ist das schon eine ganze Menge.
Nur die inhaltliche Qualität und Klarheit der Mittelstandsinitiativen und der Schaffung neuer Standortvorteile wird hier eine Region voranbringen. Das können zum einen Fördermaßnahmen sein wie:
- Erlass der IHK-Gebühr für Startups in den ersten zwei bis drei Jahren
- ggf. Steuervorteile bei der Gewerbesteuer in der Seedphase
- einfache Absetzbarkeit auch kleinerer Investments im Crowdfunding-Bereich.
- noch stärkere Förderung von Ausgründungen aus Hochschulen aber vor allem auch aus Mittelstandsbetrieben (dort gibt es dafür heute noch kaum eine Kultur).
Auch die Ansiedlung internationaler Startup-Dependancen könnte die regionalen Standorte aufwerten.
Diese und andere Dinge gilt es, nun konsequent zu diskutieren. Wenn es allerdings bei simplen Forderungen wie der nach einer ‘Digitalisierung’ bleibt, so wird spätestens in Phase fünf Ernüchterung eintreten.
Titelbild: By DoD photo by Erin A. Kirk-Cuomo (Released) (Flickr: 120920-D-BW835-870) [<a href=”http://creativecommons.org/licenses/by/2.0″>CC BY 2.0</a> or Public domain], <a href=”http://commons.wikimedia.org/wiki/File%3AHaka_performed_during_US_Defense_Secretary's_visit_to_New_Zealand_(1).jpg”>via Wikimedia Commons</a>