Transformation muss dem Kunden schmecken, nicht dem Chef

    Keine Frage – die deutsche Wirtschaft ist aufgewacht. Fast keine Konferenz befasst sich derzeit nicht mit dem Themenkomplex der Digitalen Transformation. Wirtschaftskapitäne reisen ins Silicon Valley und haben tolle Erweckungserlebnisse (zum Beispiel Klaus Kleber vom ZDF oder Kai Biermann). Reiste man in den Siebzigern nach Indien, pilgert der Macher, der was auf sich hält, heute nach Palo Alto. Für die Konzernbosse ist das Silicon Valley heute so etwas wie der Ballermann der Tech-Szene. Nicht jeder kann (oder will) sich das leisten; und so ist es gut, dass auf vielen Veranstaltungen hierzulande etwas “digitaler Weihrauch” zu schnuppern ist. 

    In meinem Beitrag “Transformiert Euch endlich!” habe ich beschrieben, wie wichtig dieser digitale Wanderzirkus ist, um sich kollektiv Mut zu machen und einzuschwören, auf das, was da vor einem liegt. Das polynesische Volk der Maori tanzt zu solchen Gelegenheiten und vor kriegerischen Auseinandersetzungen den Haka, einen rituellen Tanz, der Gemeinschaftsgefühl erzeugen soll und den Zusammenhalt gegen Feinde von außen stärken soll. Wer sich anschaut, welche digitale Weltmacht da jenseits des Atlantiks aufgebaut wird und welche Eroberungsansagen von Unternehmen wie UBER an die Adresse auch deutscher Kleinunternehmer zu hören sind, sieht sofort ein, dass es da nicht schaden kann, ein wenig den Haka zu tanzen.

    Noch besser allerdings wäre es, nach dem Tanz, konkrete Maßnahmen zu starten. Ob die ganze Folklore nämlich am Ende helfen wird, ist nämlich durchaus fraglich. Und bei den ganzen Einzelfragen kann man auch ganz schnell vergessen, worum es eigentlich geht. Und so wird eine ganze Menge diskutiertohne dass man etwas dagegen haben könnte. So ist die Forderung nach Mitbestimmung der Arbeitnehmer (die digitalisierte Fassung davon lautet heute: das demokratische Unternehmen) sicherlich eine Diskussion wert, aber die Gefahr besteht doch darin, dabei den Blick auf das Wesentliche zu verlieren. 

    Also groß denken! Der Kölner Soziologe Klaus Janowitz hat sich mit den verschiedenen Begriffen und dem sich damit verbindenden Blick auf die Transformation befasst und klargestellt, dass die mit der Digitalisierung einhergehende Transformation die Systeme Arbeit, Bildung, Mobilität, Vergemeinschaftung betrifft, aber im Grunde eine ganzheitliche Dimension hat. 

    Prioritäten finden

    So weit so richtig: alles muss irgendwie transformiert werden. Aber wie steht der Ökonom dazu? In welcher Reihenfolge sollen sich die Systeme den neuen Gegebenheiten anpassen? Wo liegen die Prioritäten? Das sind wichtige Fragen, denn geben wir zu: ein transformiertes Teilsystem wie Arbeit kollabiert, sobald sein Dachsystem (die Organisation) keinen Erfolg mehr hat (womit die Investitionen in  der Transformation nicht zielführend waren). Wer sich also permanent transformiert, muss am Ende noch lange nicht erfolgreich sein. So vorzugehen, gibt schon das ökonomische Prinzip vor.

    Wir müssen daher zwei Dinge beachten: erstens sind Einzelinitiativen wie “New Work” oder “Das demokratische Unternehmen” zwar wichtig, dürfen aber nicht zum Selbstzweck mutieren. Sie sind nur dann wertvoll, wenn sie am Ende Mehrwert beim Kunden schaffen. HR sollte zwar Treiber der Transformation werden, “Waffenträger” werden aber andere Disziplinen sein, etwa das Produktmanagement, der Support oder der Vertrieb – also die Bereiche, die in direktem Kontakt mit dem Kunden stehen.

    Zweitens ist auch die Transformation kein Selbstzweck. Transformation ist teuer, kostet Zeit und Nerven. Und sie ist langsam. Auch Abwickeln und neu Aufbauen könnte eine Option sein. Reform oder Revolution – was der bessere Weg ist, entscheidet am Ende, wie viel Zeit bleibt, um die notwendigen Veränderungen umzusetzen. Und hier kommt eine menschliche Eigenschaft ins Spiel, die man leicht unterschätzen könnte: der Mensch denkt in linearen, nicht in exponentiellen Entwicklungen. Die Gefahr besteht, dass die Reformer am Ende von den Entwicklungen überrollt werden (was die Richtigkeit ihrer Konzepte nicht infrage stellt).

    Organisationen sind kein Naturgesetz 

    Die Neugestaltung von Organisationsformen ist in diesem Zusammenhang ein wichtiges Innovationsfeld für HR – auch wenn es da manchmal nur um Themen wie “Bring Your Own Device” oder “Home Office” geht. HR darf aber nie aus dem Auge verlieren, worum es geht: den Kunden noch direkter, umfassender und schneller zu bedienen. Wenn das vom Home Office besser geht – warum nicht? Es ist doch im Grunde irrsinnig, mit einem geleasten Firmenfahrzeug durch die verstopfte Stadt ins klimatisierte Büro zu fahren, um dann mit Kunden zu chatten und zu telefonieren, die irgendwo im Cyberspace sind.  

    Der ökonomische Blick auf die Digitale Transformation ist daher auch eher nüchtern. Das Unternehmen und auch der Markt sind institutionelle Angebote, um Kollaboration zum Zwecke der Entwicklung von Werten (Nutzung von Güern und Services) zu ermöglichen. Nach Ronald Coase (The nature of the firm) entscheiden die Transaktionskosten darüber, ob die Kollaboration über den Markt oder eine Organisation erfolgt. Die institutionelle Struktur einer Wirtschaft wird damit durch die technologischen Möglichkeiten mitgeprägt. Aus diesen Möglichkeiten bessere und transaktionskosteneffizientere Lösungen zu schaffen, ist die Aufgabe von Unternehmern. 

    Auch wenn die Theorie aus den vierziger Jahren stammt und Phänomene wie Netzwerkeffekte noch nicht ausreichend bekannt waren, kann man der Einschätzung von Coase auch heute noch folgen. Für die digitalen Märkte kommen allerdings zwei Aspekte dazu: erstens die Netzwerkeffekte, die zu enormen Konzentrationen führen und die Unternehmer zu einer starken Fokussierung zwingen und zweitens die Tatsache, dass viele Märkte zu Punktmärkten geworden sind, damit also Standortvorteile marginalisiert werden. 

    Die digitalen Technologien ermöglichen Mischformen zwischen Markt und Unternehmen und damit völlig neue Institutionen.Die Unternehmen hier den “Schieberegler” zwischen Markt und Hierarchie neu justieren und mutig experimentieren. Unternehmen wie Automattic, der Hersteller der weltgrößten Content-Management-Software WordPress ist ein quasi-ortsloses Unternehmen, deren Mitarbeiter sich meist nur virtuell kennen. Noch radikaler sind Blockchain-basierte Institutionen, die ohne jede Führung auskommen wollen (das erste Unternehmen dieser Art war The DAO, welches allerdings derzeit in Turbulenzen steckt). Die mittelständischen Unternehmen müssen nicht sofort in der Cloud aufgehen, aber sie sollten doch über etwas mehr nachdenken als das Home-Office. 

    Am Ende zählt nämlich nur eines: die Transformation muss dem Kunden schmecken und nicht dem Chef (und auch nicht der HR-Abteilung).

    Wo ist Ihre Daseinsberechtigung? 

    Meine Schlussfolgerung ist daher: das transformierte Unternehmen und die Maßnahmen auf dem Weg dahin haben nur unter den folgenden Aspekten eine Daseinsberechtigung:

    1. Das digitalisierte Unternehmen schafft digitale Assets, die eine wesentliche und nach Möglichkeit unabdingbare Rolle im Wertschöpfungsprozeß seiner Partner einnehmen.
    2. Es stellt den Kunden in das Zentrum aller Prozesse und ermöglicht dem Kunden ein einfach zugängliches und werthaltiges Erlebnis bei der Nutzung des Produktes (Value-in-use im Sinne der Service-Dominant-Logic).
    3. Es schafft Netzwerkeffekte zwischen Partnern (entweder Lieferanten oder Kunden) – dazu können Plattformen und Kooperationsmodelle zum Einsatz kommen.

    Radikale Ausrichtung des Unternehmens am Kundenwert

    Die Konsequenzen dieser radikalen Vereinfachung sind klar: alle anderen Subsysteme wie etwa HR sind auf dieses Ziel der radikalen Kundenausrichtung abzustimmen und sind dahingehend zu beurteilen, welchen Beitrag sie für den Kundenwert leisten.

    Alle Subsysteme sind auf das Ziel der radikalen Kundenausrichtung abzustimmen und  dahingehend zu beurteilen, welchen Beitrag sie für den Kundenwert leisten.

    Damit einhergehend muss sich die Perspektive ändern: Innovation und neue Wege zum Kunden finden sich nicht von allein, nur weil die Vernetzung im Unternehmen höher ist. Der Blick nach innen ist zwar kuschelig, aber hat die falsche Richtung – der Blick muss nach außen gehen, Richtung Kunde. Daher hilft nur eines: die Digitale Transformation radikal auf Kunden und Geschäftsmodelle ausrichten. Auch die Personaler müssen sich fragen, welchen Beitrag sie hier leisten können.

    Wenn also wieder einmal digital “Erweckte und Entrückte” zurück in ihr Unternehmen kommen und schnelle Veränderungen einfordern, sollte Ihre erste Frage lauten: Was davon bekommt der Kunde mit? Und wie können wir herausfinden, wie es der Kunde eigentlich sieht, wie er uns gern hätte?

    Am treffsichersten hat dies Steve Blank – Erfinder der Methode des Customer Developments und eine Ikone unter den Valley-Startups – auf den Punkt gebracht:

    “Get out of the building!”

    Eine Weisheit, die nicht nur im Valley, sondern überall auf der Welt das richtige meint: ständig mit dem Kunden zusammenzuarbeiten. Mit dem Kunden reden – Aug’ in Aug’. Dann gelingt (vielleicht) auch die Transformation.

    Der Artikel erschien am 21. Juni 2016 auf LinkedIn Pulse.

    Anmerkung in eigener Sache: das Thema wird in meinen Praxis-Workshops  “Strategien für den digitalen Wandel” sowie meinem Qualifizierungsprogramm Digital Transformation Masterclass” ausführlich vertieft und es werden praktische Tools gezeigt, wie man eine kundenzentrierte Transformation hinbekommt. Daneben freue ich mich auf jeden weiteren Austausch und Kontakt. Gern verlinke ich Ihnen auch noch meine passenden Live-Online-Webinare, vielleicht in Einstieg für Ihr Team?

    Was machen wir daraus? Was sind Ihre Gedanken dazu?

    Ihr

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    Thomas Vehmeier

    Thomas Vehmeier ist Diplom-Volkswirt, Digital-Stratege und Plattformökonom. Online bereits seit 1993, berät er heute Konzerne und mittelständische Unternehmen bei ihrer Internet-Strategie und unterstützt im Interim-Management – zuletzt im ThinkTank des Telekom-CEO, zuvor vor allem für Franchise-Zentralen und Handelsunternehmen.
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