Cognitive Health: was mit Patientendaten in Zukunft alles möglich wird

    Die Kombination von mobilen Apps, Sensoren und intelligenten Algorithmen zur Auswertung in der Cloud schaffen ein neues Ökosystem an Anwendungen: Medizintechnik für die Hosentasche. Gleichzeitig verändert sich damit die Rolle der medizinischen Experten.
    Im Jahr 2007 habe ich für ein grosses Medizinportal ein Community-Konzept geschrieben. Die Idee des Auftraggebers war in etwa diese: wir überarbeiten unser moderiertes Forum noch etwas (aber nicht zu viel), sorgen dafür, dass die Kommunikation zwischen den Patienten auch
    Im Kern standen zwei Dinge: erstens – Werbung als Geschäftsmodell ist zu wenig, das Geld liegt bei den Chronikern. Zweitens – wir müssen personalisieren und verstehen, welches medizinische Profil ein User hat. Dann können wir bezogen auf den Lebenszyklus der jeweiligen Krankheit passenden Content ausliefern (nebenbei zeigt das ganz cool, wie bescheuert eigentlich Content-Marketing ist). Schon damals hätten Konzepte aus dem Bereich der Patientenkommunikation in den professionellen Bereich hinein- oder wenigstens heranreichen können. Es ging um kontextbasierte Inhalte und Auswertungen. Hier wird es weitergehen – einfach weil die Technik heute da ist. Waren wir 2007 noch darauf angewiesen, dass der Patient Angaben zu seinem Gesundheitszustand machte, könnte der Chroniker in Zukunft dauerüberwacht werden.
    Im übrigen geht es hier nicht in erster Linie um Datenschutz (das muss eben gelöst werden), sondern um Produktivität im Gesundheitsbetrieb. Ein Kardiologe oder IBM Watson – wer kann wohl besser ein EKG lesen? Egal wie die Antwort heute ausfällt – perspektivisch ist das bereits entschiedene Sache: Watson, das Elektronengehirn. Wenn Watson hier gewinnt, bedeutet das natürlich auch, dass diese Form der Mustererkennung in unsere Fitnessgeräte eingebaut und “profanisiert” wird (natürlich nur der Sensor – die Auswertung geschieht vermutlich in der Wolke). Dasselbe gilt ja auch heute schon teilweise für bildgebende Verfahren wie etwa Röntgenbilder oder ein CT-Bild. In diesem Zusammenhang ist es wiederum das Internet, das in neue Bereiche hineinwächst. Die Geschäftsmodelle in der Medizin werden sich damit völlig verändern. Und kann man so etwas dann überhaupt noch Medizin (und damit reguliert) oder handelt es sich um eine neue Klasse an Apps? Lächerlich in diesem Zusammenhang die Vorbehalte der eingesessenen Ärzte gegen Quantified-Self. Als ob das Blutdruckmessgerät in der Praxis irgendwetwas besser könnte. Werden wir in fünf Jahren ein EKG für die Hosentasche bei Aldi oder Amazon kaufen? Ich bin davon überzeugt.
    Eine solche App ist etwa SkinVision (https://skinvision.com/). Mit der App lassen sich Muttermale durch Mustererkennung via Cloud analysieren und als möglicherweise gefährlich identifizieren. Wie Ärzte darüber denken, spielt an dieser Stelle keine Rolle – wenn es eine Nachfrage gibt wird sich eine derartige Technik weiter verbreiten.
    Die Ergebnisse könnten irgendwann direkt – sofern es der Patient wünscht – einen Notruf auslösen oder zumindest einen Prozess innerhalb des Medizinbetriebs anstoßen. Denken wir an eine computergestütze Stimme, die selbst 112 wählt und dann automatisch per VoiceCall den Notruf absetzt. Dafür braucht es dann auch keine Überweisungen mehr. Technologien, die also den Ärzten Marktvolumen abnehmen könnten.
    Schon heute gibt es übrigens einige Anbieter wie etwa Alivecor, die ein EKG über ein spezielles Armband für die Apple Watch anbieten. Auch wenn die derzeitige Technik noch nicht ganz ausgereift scheint, ist klar, wohin die Richtung geht: Medizintechnik zieht in den Alltag ein – und das ist gut so.
    Es ist beeindruckend, was IBM Watson im Bereich Cognitive Healthcare bereits leistet (http://www.ibm.com/watson/health/on…), aber richtig disruptiv werden diese Technologien vermutlich erst, wenn sie die Grenzen zwischen Ärzten und Patienten überwinden und auch mit mobilen Apps und Smart Devices in unseren Alltag einziehen.
    Spielt man den Gedanken weiter und ist der Patient dank der Technik in der Hosentasche zunehmend auf einem ähnlichen Informationsstand wie der Arzt, wird der Zeitpunkt kommen, an dem sich ein Arzt dafür rechtfertigen muss, dass er noch selbst auswertet (bis hin zur Haftung und dem Vorwurf der Fahrlässigkeit).#decentralizedhealth #businessmodeling

    Was machen wir daraus? Was sind Ihre Gedanken dazu?

    Ihr

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    Thomas Vehmeier

    Thomas Vehmeier ist Diplom-Volkswirt, Digital-Stratege und Plattformökonom. Online bereits seit 1993, berät er heute Konzerne und mittelständische Unternehmen bei ihrer Internet-Strategie und unterstützt im Interim-Management – zuletzt im ThinkTank des Telekom-CEO, zuvor vor allem für Franchise-Zentralen und Handelsunternehmen.
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