Zehn Thesen zum Wettbewerb in der Plattformökonomie

    Immer mehr Unternehmen wollen ihre klassischen Wertschöpfungsketten öffnen und zu Plattformen weiterentwickeln. Produkt-Pipelines entwickeln sich zu Plattformen.
    Viele der heute dominierenden Unternehmen wie Google, Amazon oder Facebook sind Betreiber digitaler Plattformen. Plattformen sind offenbar zur dominierenden Wirtschaftsarchitektur unserer Zeit geworden. Daneben hat sich ein digitaler Mittelstand etabliert, der von offenen Entwicklungsplattformen profitiert.

    Während die Digitalisierung voranschreitet, spaltet eine Frage die Debatte um deren Auswirkungen: steigern digitale Plattformen die gesamtwirtschaftliche Wohlfahrt oder führen Sie zu einer Spaltung der Gesellschaft in arm und reich – in Betreiber und Nutzer von Plattformen. In welcher Form wird sich unser Wirtschaftssystem also verändern, überwiegen die positiven oder negativen Wohlfahrtseffekte?

    Anmerkung: dieses Thesenpapier fasst die zentralen Aussagen des Vortrages “Nachhaltige Plattformen zwischen Wettbewerb und Kollaboration” vom 19.2.2016 auf der NextAct Conference zusammen und wurde am 25.5.2016 um 11:00 Uhr im Livestream des Netzökonomie-Campus debattiert.

    These 1: Endkundenerlebnis als Zweck von Plattformen

    Plattformen lassen sich als Kooperationen zwischen den teilnehmenden Unternehmen verstehen, um endkundenorientierte Services auszuliefern. Wesentlicher Zweck von Plattformen ist die Konfiguration von Service-Erlebnissen und Schaffung von Kundenwert.

    These 2: Kooperationsrente

    Die Teilnehmer einer Plattform – Betreiber, Serviceanbieter und Kunden – erwirtschaften zusammen eine Kooperationsrente. Diese ist umso höher, je offener und diverser eine Plattform ist und je einfacher es Dritten gemacht wird, neue Services zum Nutzen der Konsumenten zu entwickeln.

    These 3: Plattformwahl als Institutional Choice

    Der Wettbewerb zwischen Plattformen ist ein Institutionenwettbewerb. Die Teilnehmer von Plattformen wählen diejenige Institution, die es ihnen mit möglichst niedrigen Transaktionskosten ermöglicht zu Kommunikation oder Transaktionen durchzuführen.

    These 4: Plattformen und Vielfalt

    Marktbeherrschende, geschlossene Plattformen ohne Differenzierungsmöglichkeiten können Handlungsoptionen der Plattformteilnehmer beschränken und bleiben bzgl. ihrer potentiellen Innovationskraft und somit des ihnen möglichen Wohlstandspotentials suboptimal. Offene Plattformen schaffen dagegen Differenzierungsmöglichkeiten außerhalb des Plattformkerns und Zugang von außen zum Kern.

    These 5: Plattformen und Offenheit

    Plattformen variieren im Grad ihrer Offenheit. Diese zeigt sich im allgemeinen Zugang zur Platform sowie an der Partizipation bei der Weiterentwicklung des Plattformkerns. Der Grad der Offenheit steht in einem direkten Verhältnis der Verteilung der Kooperationsrente zwischen Plattformbetreiber und Peers.

    These 6: Weiterentwicklung des institutionellen Angebotes

    Zur Weiterentwicklung des institutionellen Angebotes gehört nicht nur das Wachstum vielfältiger Service-Angebote, sondern auch die nachhaltige Weiterentwicklung des Plattformkerns sowie die Integration zusätzlicher Netzwerkeffekte auf allen Ebenen des Platform Stacks.

    These 7: Zentrale Wissensproblematik in pseudo-offenen Ökosystemen

    Geschlossene Plattformen als pseudo-offene Ökosysteme vergrößern das Wissensproblem, weil das Risiko von Fehleinschätzungen im Plattform-Kern liegt.

    These 8: Kollaboratives Versagen

    In vielen offenen Plattformen (Open-Source-Communities) fehlen individuelle Anreize zur Übernahme von Aufgaben des Gemeinnutzens und der Weiterentwicklung des Plattformkerns. Dieses Auseinanderfallen von individueller und sozialer Rationalität kann als kollaboratives Versagen bezeichnet werden.

    Erklärung: Viele Open Source-Projekte sind systematisch unterfinanziert – in der Folge haben die offenen Plattformen an Boden verloren.

    These 9: Kooperation auf Gegenseitigkeit

    Zur konsequenten Weiterentwicklung sollten sich die Mitglieder einer offenen Plattform dazu durchringen, ihre Kooperation stärker auf Gegenseitigkeit beruhen zu lassen (ähnlich einer Genossenschaft). Dies kann bedeuten, monetäre oder sachliche Gegenleistungen für zentrale Plattformaufgaben einzufordern und den Zugang zu bestimmten Plattform-Eigenschaften an Bedingungen zu binden.

    These 10: Grad der Offenheit im Plattform-Lebenszyklus

    Zur Generierung von Netzwerkeffekten kann es für Plattformen sinnvoll sein, die funktionale Vielfalt in der Wachstumsphase zu beschränken. Nach dem Erreichen einer kritischen Masse kann das Innovations- und Wohlfahrtspotential einer Plattform durch Öffnung des Funktionsspielraums für Dritte erhöht werden.

    These 11: Verzögerte Öffnung

    Obwohl die Kooperationsrente bei Offenheit größer ist, ist die Verteilung bei monolithischen Plattformen für den Betreiber vorteilhafter. Aus diesem Grunde kann es aus Sicht des Betreibers rational sein, die Öffnung der Plattform für Funktionen und Services Dritter zu verzögern und eine gesamtwirtschaftlich suboptimale Lösung zu verfolgen.


    Anmerkung: die Thesen geben zentrale Aussagen des auf der NexAct Conference am 19.2.2016 in Köln gehaltenen Vortrages “Nachhaltige Plattformen zwischen Wettbewerb und Kollaboration” wieder. Ein Transkript des Vortrages ist in Erstellung. Die Thesen wurden am 25.5.16 im Kölner Startplatz anlässlich eines Treffens des Netzökonomie-Campus zum Thema “Linux-Prinzipien für die Netzökonomie” diskutiert.

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    Thomas Vehmeier

    Thomas Vehmeier ist Diplom-Volkswirt, Digital-Stratege und Plattformökonom. Online bereits seit 1993, berät er heute Konzerne und mittelständische Unternehmen bei ihrer Internet-Strategie und unterstützt im Interim-Management – zuletzt im ThinkTank des Telekom-CEO, zuvor vor allem für Franchise-Zentralen und Handelsunternehmen.
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