Interview: Rollenbilder in der digitalisierten Arbeitswelt

    Was genau bedeutet „Digitale Transformation” für den „normalen Arbeitnehmer“? Für welche künftigen Herausforderungen muss ich mich wappnen?

    Zunächst muss man verstehen, dass die Digitale Transformation nicht ein einmaliger Prozess ist, sondern sich in mehreren Zyklen abspielen wird. Es reicht nicht, sich jetzt einmal digital fit zu machen und dann bis zur Rente gewappnet zu sein. Dennoch braucht niemand Angst haben: im persönlichen Bereich haben die meisten von uns schon mehrere „Digitalisierungen“ hinter sich: von der Schallplatte über die CD, die MP3-Datei hin zum Streaming. Das haben wir alle ganz gut geschafft – und auch im beruflichen Umfeld ist das zu meistern.

    Für das Unternehmen umfasst die digitale Transformation das Kundenerlebnis, die Prozesse und das Geschäftsmodell. Die in diesen Bereichen zu erwartenden Änderungen werden auch die Arbeitnehmer unmittelbar betreffen. Dagegen zu kämpfen, wie es die Taxifahrer etwa gegen das Geschäftsmodell der die Firma UBER tun, wird langfristig nicht erfolgreich sein. Das ist ein Kampf gegen Windmühlen. Wie zur Zeiten der industriellen Revolution sind die Veränderungen der Digitalisierung so grundlegender Natur, dass sich kaum ein Unternehmen erlauben kann, weiter nach den alten Regeln zu spielen.

    Arbeitnehmer sollten nicht nur auf die formale Weiterbildung durch das Unternehmen warten, sondern sich eigenständig und informell entwickeln. Diese persönliche Transformation muss jeder für sich hinbekommen. Arbeitgeber sehe ich hier in der Verantwortung, Impulse zu setzen.

    Die Transformation wird aber auch die Arbeit an sich verändern. Schon heute kann man im Grunde die meisten Bürotätigkeiten von jedem Ort der Welt vornehmen. Dennoch gehen die meisten Unternehmen noch recht sorglos mit der Ressource Mensch um. Es ist doch absurd, einerseits das vernetzte Unternehmen aufzubauen und die Mitarbeiter dann morgens zur Rush Hour ins Firmengebäude zu zwingen. Unternehmen aus dem Silicon Valley haben die betriebswirtschaftlichen Vorteile längst erkannt und lassen den Mitarbeitern die räumliche Wahl des Arbeitsplatzes. Die Schnittstelle zwischen Beruf und Freizeit wird sich dadurch allerdings verschieben. 

     

    Ist Crowdsourcing ein realistisches Arbeitsszenario in Deutschland? Arbeiten wir künftig alle als Clickworker Mikrojobs ab?

    Ich halte das für übertrieben. Allerdings werden Teile des Arbeitsmarktes sich tatsächlich in diese Richtung entwickeln. Wir werden in den nächsten Jahren eine deutliche Verschiebung zu Plattform-Geschäftsmodellen sehen. Doch als Szenario für die gesamte Arbeitswelt sehe ich das auch in Zukunft nicht, eher wird es Mischformen geben. Überall dort, wo es auf Spitzenqualität ankommt werden wir allerdings auch weiterhin abgestimmte Prozesse benötigen. Das können Sie nicht mit ständig wechselndem Personal erledigen. 

    Allerdings sind nicht alle Arbeitsstufen in diesem Sinne einzigartig, so dass eher austauschbare Arbeiten wohl tatsächlich zunehmend über Plattformen vermittelt werden könnten. Das kann ganze Berufsbilder wie etwa Buchhalter oder Bankangestellte bedrohen. Und sogar akademische Tätigkeiten, wie etwa in der Marktforschung oder bestimmte Management-Funktionen könnten aus der klassischen Beschäftigung gelöst werden. Projektmanager werden ja schon heute oft extern eingekauft, dieser Trend dürfte sich verstärken.

    Im Ergebnis werden sich die Wertschöpfungsketten von Unternehmen durch Automatisierung und Auslagerung von einfachen Arbeitsschritten stark verändern. Wir sollten aber auch die Chancen sehen: diese durch das Internet geschaffene neue, globale Arbeitsteilung schafft riesige Produktivitätsgewinne, Wachstum und Chancen für Selbstständige und Arbeitnehmer. 

     

    Was kann ich tun, damit ich nicht zum Clickworker werde oder gar durch Roboter ersetzt werde?

    Jeder Arbeitnehmer muss sich heute fragen: ist mein Beitrag für das Kundenerlebnis wirklich so zentral, dass ich nicht in eine unfreiwillige Selbstständigkeit gezwungen werden könnte? Entscheidend ist erstens, welches Gewicht die Tätigkeit für den beim Kunden erzeugten Wert hat und inwiefern wesentliche Arbeitsschritte in absehbarer Zeit automatisiert werden können. Und die Robotik dringt ja ebenfalls in das Büro vor, nur sehen wir davon wenig. Wir können aber davon ausgehen, dass immer mehr Prozessschritte und auch Entscheidungen im Büro der Zukunft durch Software-Agentensysteme und künstliche Intelligenz ersetzt werden. Insofern ist nicht nur die Kassiererin bei Aldi gefährdet, sondern auch viele klassische Bürojobs. 

    Insgesamt gibt es aber auch Grund zur Hoffnung, denn es entstehen gerade zahlreiche neue Berufsbilder, etwa das des Datenanalysten. Wir haben ja bereits mehrere Phase der Automatisierung hinter uns und am Ende gab es in Summe mehr Jobs als vorher. Ob der Nettoeffekt also wirklich negativ oder am Ende nicht doch positiv wird, hängt also von uns ab: ob wir die Chancen erkennen und uns entsprechend weiterentwickeln.

    Was machen wir daraus? Was sind Ihre Gedanken dazu?

    Ihr

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    Thomas Vehmeier

    Thomas Vehmeier ist Diplom-Volkswirt, Digital-Stratege und Plattformökonom. Online bereits seit 1993, berät er heute Konzerne und mittelständische Unternehmen bei ihrer Internet-Strategie und unterstützt im Interim-Management – zuletzt im ThinkTank des Telekom-CEO, zuvor vor allem für Franchise-Zentralen und Handelsunternehmen.
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