Use Case: Pre-Mortem-Analyse für einen Lebensmitteleinzelhändler

    Stellen Sie sich vor, Sie arbeiten im Innovations- oder Strategieteam eines Lebensmittelkonzerns und sollen sich überlegen, welche neuen digitalen Geschäftsfelder interessant sein könnten und welche Ideen es für neue digitale Kundenerlebnisse geben könnte. Schließlich haben Sie bereits ein Innovationslab eingerichtet, wissen aber nicht womit sich die Experten beschäftigen sollen.

    Vielen fällt genau dieser Schritt schwer. Die erste Idee finden, einen Anfang hin bekommen. Nachher geht es oft einfacher und mit Kreativitätstechniken und Design Thinking sprudeln die Ideen dann nur so. Aber wo startet man? Und was ist wirklich wichtig? Ich nenne das auch das Weisse-Blatt-Phänomen. Jeder Design-Thinking-Prozess benötigt eine Challenge, eine grundlegende Aufgabenstellung.

    Es gibt nun viele Wege, das Handlungsfeld einzugrenzen. Ein Ansatz ist, mal so richtig negativ zu werden und eine Pre-Mortem-Analyse durchzuführen. Mal ganz ehrlich: meckern fällt den meisten Menschen doch einfacher – warum also nict damit beginnen?

     


    Anmerkung: Bei dem vorliegenden Use Case handelt es sich um ein imaginäres Fallbeispiel zu Trainingszwecken. Die ausgefüllten Post-Its stammen aus einem Remote-Workshop, der mit Teilnehmern eines Workshops durchgeführt wurde. Die Vorlagen wurden mit Miro erstellt, der Workshop lief via Zoom. Die Ergebnisse wurden nicht auf Vollständigkeit oder Richtigkeit überprüft. In diesem Übungsbeispiel geht es allein um die Darstellung einer Vorgehensweise. In der realen Anwendung sollten sie die Zwischenergebnisse auf Plausibilität und Richtigkeit überprüfen. Dies können Sie jedoch auch in einem zweiten Durchlauf machen, in dem Sie die Ergebnisse verbessern und verfeinern. 


     

    Vorgehensweise

    Beim Versuch, mögliche relevante Use Cases für einen Lebensmittelhändler zu entwickeln, bin ich mit den Teilnehmern des Workshops durch einen dreistufigen Prozess gegangen:

    • Schritt 1: Identifikation bedrohter Geschäftsfelder
    • Schritt 2: Identifikation digitaler Megatrends
    • Schritt 3: Schritt 3: Pre-Mortem-Analyse durchführen

     

    Schritt 1: Bedrohte Geschäftsfelder identifizieren

    Was sind die Geschäftsfelder, die durch Disruption bedroht sind? Das Schaubild wurde im Rahmen eines Workshops benutzt. Es bezieht sich auf die verschiedenen Geschäftsfelder eines Lebensmittelkonzerns. Im konkreten Übungsfall wurde angenommen, die Teilnehmer seien das Digitalisierungsteam des REWE-Konzerns und sollten neue digitale Geschäftspotentiale identifizieren. Die Aufgabe besteht darin, im Rahmen der Digitalisierung zunächst bedrohte Geschäftsfelder zu identifizieren. Ich benutze dazu die Disruptionsmatrix:
     

     

    Es zeigt, wie verschiedene Geschäftsfelder hinsichtlich ihrer Umsatzanteile und ihrer relativen technologischen und digitalen Performance positioniert sind.

    Haupterkenntnisse:

    1. Führung durch Technologie und Digitalisierung:
      • REWE und DERTOUR sind im Quadranten positioniert, der Unternehmen mit einem hohen Umsatzanteil (>25%) und einer branchenführenden digitalen Performance kennzeichnet. Das bedeutet, diese Bereiche sind sowohl finanziell stark als auch technologisch fortgeschritten.
    2. Hohes Potenzial, aber technologische Herausforderungen:
      • Amazon Prime, PENNY, toom Baumarkt und Lieferung an die Haustür befinden sich in einem Bereich mit hohem Umsatzanteil, aber nur durchschnittlicher bis unterdurchschnittlicher digitaler Performance. Das sind also Geschäftsfelder, bei denen Investitionen in Technologie und Digitalisierung entscheidend sein könnten, um die Marktposition zu stärken und möglicherweise Marktanteile zu gewinnen.
    3. Niedriger Umsatzanteil, aber technologische Stärke:
      • REWE TO GO positioniert sich in einem Bereich mit niedrigem Umsatzanteil, weist jedoch eine branchenführende digitale Performance auf. Das deutet auf ein Geschäftsfeld hin, das zwar derzeit nur einen kleinen Umsatzbeitrag leistet, aber das Potenzial hat, in der Zukunft zu wachsen, wenn es richtig skaliert wird.
    4. Bedrohte Geschäftsfelder:
      • REWE Lieferservice und Kuoni liegen im Quadranten mit geringem Umsatzanteil und unterdurchschnittlicher digitaler Performance. Das sind Geschäftsfelder, die sowohl von sinkenden Umsätzen als auch von digitaler Rückständigkeit bedroht sein könnten. Diese Bereiche sollten als erste für digitale Initiativen in Betracht gezogen werden, um entweder ihre Performance zu verbessern oder Alternativen in Betracht zu ziehen.

    Erste Erkenntnisse für das Digitalisierungsteam von REWE:

    Der Fokus sollte auf den Geschäftsfeldern liegen, die sich im Quadranten mit hohem Umsatzanteil und durchschnittlicher bis unterdurchschnittlicher digitaler Performance befinden. Gleichzeitig sollten Maßnahmen ergriffen werden, um die bedrohten Geschäftsfelder zu unterstützen.

    Abschließend: Das Schaubild bietet eine klare Perspektive darauf, wo Investitionen und strategische Initiativen erforderlich sind. Es ist jedoch wichtig, die zugrunde liegenden Faktoren zu berücksichtigen, die zu diesen Platzierungen geführt haben, und entsprechende Aktionen sorgfältig zu planen. Der Schlüssel zum Erfolg liegt in der Verbindung von Technologieinvestitionen mit einem klaren Geschäftsverständnis und Kundenbedürfnissen.

     

    Mit welche Geschäftsfeldern sollte begonnen werden?
    Beim Starten einer Digitalisierungsinitiative ist es sinnvoll, sich auf Geschäftsfelder zu konzentrieren, die sowohl einen hohen Einfluss auf den Gesamtumsatz haben als auch ein hohes Potenzial für Verbesserungen durch Digitalisierung aufweisen. Auf Basis des Schaubilds würde ich folgende Prioritäten setzen:
    1. Amazon Prime, PENNY, toom Baumarkt und Lieferung an die Haustür:
      • Diese Geschäftsfelder weisen einen hohen Umsatzanteil auf, liegen jedoch in Bezug auf ihre digitale Performance im durchschnittlichen bis unterdurchschnittlichen Bereich. Das deutet darauf hin, dass hier durch Digitalisierungsmaßnahmen erhebliche Verbesserungen und Umsatzsteigerungen möglich sind. Die Optimierung dieser Bereiche könnte nicht nur die Effizienz und Kundenzufriedenheit steigern, sondern auch Wettbewerbsvorteile gegenüber Konkurrenten schaffen.
    2. REWE Lieferservice und Kuoni:
      • Trotz ihres niedrigen Umsatzanteils weisen sie eine unterdurchschnittliche digitale Performance auf. Dies macht sie zu Kandidaten für dringende Überholungsmaßnahmen oder sogar für die Neuausrichtung. Investitionen in diese Bereiche könnten dazu beitragen, verlorene Marktanteile zurückzugewinnen und das Kundenerlebnis zu verbessern.
    3. REWE TO GO:
      • Obwohl es derzeit einen geringen Umsatzanteil hat, zeigt es eine branchenführende digitale Performance. Das Potenzial für Skalierung und Wachstum ist hier gegeben, und mit der richtigen Strategie könnte dies zu einem wesentlichen Geschäftsfeld für REWE werden.

    Nachdem Sie mit diesen Geschäftsfeldern begonnen haben, können Sie Ihre Erfolge und Erkenntnisse nutzen, um die Digitalisierungsinitiativen auf andere Bereiche auszudehnen. Es ist auch wichtig, den Markt und die Kundenbedürfnisse kontinuierlich zu überwachen, um sicherzustellen, dass Ihre Strategien weiterhin relevant und effektiv sind.

     

    Schritt 2: Megatrends identifizieren

    In einem zweiten Schritt sollte das Team Megatrends und digitale Technologien identifizieren, die im Kontext von REWE relevant sein könnten. Dazu zählen auch Entwicklungen in den Märkten, in denen REWE und seine Töchter aktiv ist.

    Das Diagramm zeigt verschiedene Megatrends und technologische Entwicklungen, die für REWE und seine Tochtergesellschaften von Bedeutung sein könnten. Hier ist eine Analyse dieser Trends und deren potenzielle Auswirkungen:

    1. Online Zahlung & Paypal:
      • Relevanz: Mit dem Anstieg des Online-Handels und dem Wunsch nach kontaktlosen Zahlungsoptionen haben Online-Zahlungssysteme wie PayPal erhebliche Bedeutung erlangt.
      • Mögliche Maßnahmen: Integration nahtloser Online-Zahlungsoptionen, Partnerschaften mit führenden Zahlungsanbietern und Entwicklung eigener Zahlungsplattformen.
    2. Onlineshopping:
      • Relevanz: E-Commerce boomt, und Verbraucher erwarten bequeme Online-Einkaufsmöglichkeiten.
      • Mögliche Maßnahmen: Erweiterung und Optimierung des Online-Shopping-Angebots, Einbindung von KI für personalisierte Einkaufserlebnisse und effiziente Lieferkettenoptimierung.
    3. Social Media:
      • Relevanz: Soziale Medien sind für Markenbekanntheit, Kundenbindung und Marketing unerlässlich.
      • Mögliche Maßnahmen: Erstellung engagierter Social-Media-Kampagnen, Nutzung von Influencer-Marketing und Einsatz von Social Listening-Tools zur Marktforschung.
    4. Kein Stress im Laden:
      • Relevanz: Verbraucher suchen nach einem reibungslosen und stressfreien Einkaufserlebnis im physischen Geschäft.
      • Mögliche Maßnahmen: Einführung von Self-Checkout-Optionen, Verwendung von IoT-Geräten zur Bestandsverwaltung und Optimierung des Ladenlayouts.
    5. App:
      • Relevanz: Apps können das Einkaufserlebnis personalisieren und bieten Möglichkeiten für Treueprogramme und personalisierte Angebote.
      • Mögliche Maßnahmen: Entwicklung oder Verbesserung der eigenen Einkaufs-App, Integration von Augmented Reality und personalisierten Empfehlungen.
    6. Rezepte:
      • Relevanz: Konsumenten suchen nach Inspiration und bequemen Kochlösungen.
      • Mögliche Maßnahmen: Integration von Rezeptvorschlägen in Apps oder Websites, Partnerschaften mit Food-Bloggern und Einführung von “Meal Kits”.
    7. Datenschutz:
      • Relevanz: Mit der steigenden Menge an Online-Interaktionen ist Datenschutz ein kritisches Anliegen.
      • Mögliche Maßnahmen: Implementierung strenger Datenschutzmaßnahmen, regelmäßige Überprüfung und Aktualisierung von Datenschutzrichtlinien und transparente Kommunikation mit Kunden.

    In Anbetracht dieser Trends sollten REWE und seine Tochtergesellschaften einen integrierten Ansatz verfolgen, um sowohl die physische als auch die digitale Kundenerfahrung zu optimieren. Es wäre auch ratsam, in Technologien zu investieren, die den aktuellen und zukünftigen Anforderungen gerecht werden.

     

    Schritt 3: Pre-Mortem-Analyse durchführen

    Es ist in fünf Jahren. Die Digitalstrategie ist grandios gescheitert. Was genau ist schiefgegangen?

     

    Basierend auf einem Pre-Mortem für den REWE-Lebensmittelkonzern ergeben sich folgende Schreckens-Szenarien:

    1. Schlechte Bewertungen aufgrund nicht eingehaltener Liefertermine:
      • Ein Hauptanliegen für jeden Lebensmittelkonzern, besonders bei frischen Produkten.
      • Gegenmaßnahme: Sicherstellung einer effizienten Lieferkettenlogistik, Einsatz moderner Prognosetools und engmaschige Kommunikation mit den Kunden.
    2. Vertriebsnetz nicht ausgebaut:
      • Ohne ein effektives Vertriebsnetz könnten regionale Märkte und potenzielle Kunden unerreicht bleiben.
      • Gegenmaßnahme: Gezielte Marktanalysen, Partnerschaften mit lokalen Anbietern und Investitionen in mobile Vertriebslösungen.
    3. Externer Lieferservice nicht zuverlässig:
      • Dies könnte das Vertrauen der Kunden in REWE schädigen, selbst wenn der Fehler beim externen Partner liegt.
      • Gegenmaßnahme: Sorgfältige Auswahl von Lieferpartnern, regelmäßige Leistungsbewertungen und Aufbau eines eigenen Lieferdienstes als Backup.
    4. Produkte sind zu teuer:
      • Hohe Preise könnten Kunden abschrecken, insbesondere in einem umkämpften Markt.
      • Gegenmaßnahme: Effiziente Beschaffungsstrategien, Mengenrabatte und Entwicklung von Eigenmarken als kostengünstige Alternativen.
    5. Zu viele Verpackungen:
      • Umweltbedenken sind ein wachsendes Anliegen der Verbraucher.
      • Gegenmaßnahme: Investition in umweltfreundliche Verpackungen, Anreize für Kunden, die eigene Verpackungen mitbringen, und Recycling-Initiativen.
    6. Anfragen konnten regional nicht bewältigt werden:
      • Ein Zeichen dafür, dass die Nachfrage das Angebot übersteigt oder die Infrastruktur unzureichend ist.
      • Gegenmaßnahme: Aufbau zusätzlicher Lager und Vertriebszentren, Erhöhung der Transportkapazitäten und regionale Marketingkampagnen.
    7. Liefertermine wurden nicht eingehalten:
      • Wiederholung des ersten Punktes, aber es unterstreicht die Bedeutung der Pünktlichkeit in der Lebensmittelbranche.
      • Gegenmaßnahme: Digitalisierung der Lieferkette, Echtzeit-Tracking und Notfallpläne für unerwartete Verzögerungen.

    Durch die Vorwegnahme dieser möglichen Szenarien kann REWE proaktive Strategien entwickeln, um diesen Herausforderungen zu begegnen und den Erfolg in der digitalen Transformation sicherzustellen.

     

    Oft sind die Teams in Gruppenprozessen in einer einstufigen Pre-Mortem-Analyse noch nicht kreativ genug. Die Ergebnisse sind oft generisch und führen oft noch nicht zum wirklichen Knackpunkt. Daher führe ich eine Pre-Mortem oft  etwas verfeinert noch einmal etwas weiter:

     

     

     

     

     

     

    Was machen wir daraus? Was sind Ihre Gedanken dazu?

    Ihr

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    Posted in

    Thomas Vehmeier

    Thomas Vehmeier ist Diplom-Volkswirt, Digital-Stratege und Plattformökonom. Online bereits seit 1993, berät er heute Konzerne und mittelständische Unternehmen bei ihrer Internet-Strategie und unterstützt im Interim-Management – zuletzt im ThinkTank des Telekom-CEO, zuvor vor allem für Franchise-Zentralen und Handelsunternehmen.
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