Disruption durch Co-Creation mit Underdog-Kunden

    In den letzten Monaten hat es einige Auseinandersetzungen gegeben, was der Begiff Disruption eigentlich bedeutet. Das Wort ‘Disruption’ darf in keiner Keynote zum Thema Digitalisierung fehlen und hat damit in der tatsächlichen Anwendung fast schon eine generische Bedeutung bekommen für umgreifende Umwälzungen für Branchen und Produkte. Aber ist es das, was uns Christensen damit sagen wollte? Und welche Innovationen sind wirklich disruptiv nach Christensens Theorie?


    Christensen selbst hat in einem Artikel im Harvard Business Review versucht, dies klarzustellen. Er klagt über die inflationäre Verwendung des Begriffs:

    “Many researchers, writers, and consultants use “disruptive innovation” to describeany situation in which an industry is shaken up and previously successful incumbents stumble.”

    Die Theorie kommt ja aus dem Neunzigern, wurde also noch gar nicht mit dem Thema Digitalisierung verbunden. Clayton Christensens Buch hiess ja auch ‘Innovators Dilemma’, das gerade darin besteht, dass die Platzhirsche ihr Produkt immer weiter überarbeiten, immer besser machen und dieser Qualitätswettbewerb am Ende dazu führt, dass die Spitzenprodukte natürlich spitze sind, aber eben auch eine Kleinigkeit kosten.

     

    Am Ende wollen Autofahrer Autofahren

    Die meisten Ferrari-Fans können sich gerade mal die Poster leisten, nicht aber den Wagen. Für mich ist etwa ein Carsharing-Angebot wie Cambio disruptiv. Durch die unkomplizierte Kurzzeitmiete können Nichtbesitzer eines Autos ab und zu unkomliziert Auto fahren – und dazu noch verschiedene Fahrzeuge ausprobieren. Es hat fast zwanzig Jahre gedauert, seitdem die ersten Carsharing-Anbieter starteten. Mittlerweile funktioniert der Service so gut, dass diese Art des Sharings für viele dazu geführt haben, dass sie gar kein (wahrscheinlich meist gebrauchtes) Auto mehr kaufen. Einerseits wird hier ein neues Marktsegement für das Thema Auto geöffnet (zuerst einmal die Ökos), später überlegen auch Leute aus dem Mainstream, umzusteigen. Wenn man dieses Geschäftsmodell weiterdenkt, lässt sich daraus der Mietwagenmarkt angreifen, aber auch Kundschaft für den Erwerb eines Autos finden. Das Modell könnte sich jedenfalls sehr gut weiter nach oben arbeiten.

     

    War etwa Aldi auch disruptiv?

    Qualität kann auch eine andere Ausprägung haben, im Lebensmittelhandel kann damit etwa eine breite Produktauswahl gemeint sein. ALDI war somit aus meiner Sicht ein disruptiver Angreifer, weil die Firma sich auf ein Kernsortiment konzentriert hat, welches die breite Masse braucht. Damit konnten irgendwann auch Produkte an die Masse verkauft werden, die diese vorher noch gar nicht kannte.

    Ebenso die Billigfluglinien: durch gute Auslastung und Weglassen von jedem Schnickschnack und Zusatzservice konnten sie den reinen Flug sehr günstig anbieten und haben das Fliegen noch weiteren Kreisen möglich gemacht.

    Eine andere ganz gute Übersetzung für Disruption ist: “Reduce to the max!” Und genau das fällt vielen Produktmanagern so schwer, weil sie ihre Produkte immer weiter mit Features wie etwa einem Einpark-Assistenten aufblasen und darüber vergessen, dass es Niedrigpreissegmente gibt, die einfach nur Fahren wollen. Also um meinen Tipp mal abzugeben: die Autobranche wartet nur drauf!

     

    Skype punktete bei den Underdog-Kunden

    Ich kann noch ein Beispiel aus meiner eigenen beruflichen Erfahrung bringen. Die Telekom wie auch andere Telkos wurden in ihrem Geschäftsmodell getroffen, weil es durch VoIP zerstört wurde. das Business Model der Telkos in den Neunzigern hiess ARPU (Average Return per User), also quasi das Gegenteil von “Halte Dich kurz!” Wer sich an seine Telefonrechnung aus der Millenium-Zeit erinnert, weiss, wovon ich spreche. Obwohl VoIP schon 1995 erfunden worden ist, aber wer mal C-U-SeeMe oder VoIP über Vocaltec ausprobiert hat, erinnert sich noch an die katastrophale Qualität. Dennoch hat VoIP mit Skype den Weltmarkt für internationale Gespräche disruptiv umgewandelt. Heute wächst Skype in diesem Bereich stärker als alle Telefongesellschaften der Welt zusammen. Fazit: der Markt ist tot. Die Telkos verkaufen nur noch Access, keine Minuten mehr. Das Resultat kann durchaus sein, dass das Marktvolumen auch im Mainstream-Markt sinkt. Und das ist genau das, was wir beobachten können. Fast alle Expats haben sich damit arrangiert Skype-Calls zu machen und würden nie eine teure klassische Telefonleitung nach Venezuela nehmen.

    Gerade weil Skype eher die Underdogs unter den Kunden im Visier hatte, wurde die Gefahr durch die Telkos lange nicht gesehen, denn diese Zielgruppen galten als unlukrativ.

    Es kann sich also durchaus lohnen, mehr Co-Creation mit Underdog-Kunden zu wagen. Gerade mit Kunden zu arbeiten, die sich das Produkt heute gar nicht leisten können.

    Disruption: eine David-gegen-Goliath-Geschichte!

     

    Was machen wir daraus? Was sind Ihre Gedanken dazu?

    Ihr

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    Thomas Vehmeier

    Thomas Vehmeier ist Diplom-Volkswirt, Digital-Stratege und Plattformökonom. Online bereits seit 1993, berät er heute Konzerne und mittelständische Unternehmen bei ihrer Internet-Strategie und unterstützt im Interim-Management – zuletzt im ThinkTank des Telekom-CEO, zuvor vor allem für Franchise-Zentralen und Handelsunternehmen.
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