In der agilen Produktentwicklung sind Hypothesen das Rückgrat digitaler Innovation und vielversprechender neuer Geschäftsmodelle. Sie sind die Grundlage, auf der wir unsere Annahmen über den Markt, die Kundenbedürfnisse und den Wert unserer Lösungen testen. Die Hypothesen-getriebene Methode orientiert sich an der Lean-Startup-Philosophie. Die Fähigkeit, Hypothesen effektiv zu validieren, ist entscheidend, um Risiken zu minimieren und Investitionen zu optimieren.
Warum wird mit Hypothesen gearbeitet?
Letztlich hat die steigende Bedeutung dieses Verfahrens einen simplen Grund: die Produktentwicklung muss dem Kunden ein Produkt liefern, das genau seinen Bedürfnissen entspricht und im besten Fall ein dringendes Problem löst und im allerbesten Fall sogar einen Anfall von Begeisterung beim Kunden auslöst. Zudem muss die angestrebte Problemlösung machbar sein und einen Wert für den Kunden und das Unternehmen bieten. Daher folgenden viele agile Produktentwicklungsprojekte in der Validierungsphase dem Dreiklang “Desirebility, Feasibility, Viability”. Ein erfolgreiches Produkt wird gewünscht, ist umsetzbar und rechnet sich. Besonders bei noch elaborativen Projekten ist das Vorgehen wichtig und kommt daher insbesondere bei der Entwicklung neuer Features, Produkte und Services sowie beim Aufbau von Startups zum Einsatz. Bei eher etablierten Produkten in einer späteren Phase des Produktlebenszyklus ist es seltener im Einsatz.
Auch in der Entwicklung von Geschäftsmodellen lässt sich – ähnlich wie in der Wissenschaft – die Natur beobachten. Nur beobachten wir als Geschäftsleute eben den Markt, die Kunden und die Technologie – das ist quasi die Natur des Geschäftslebens. In der Geschäftswelt ähneln Hypothesen denjenigen in der Wissenschaft, sind jedoch oft mit einer höheren Ungewissheit behaftet. Es geht darum, den Markt, das Kundenverhalten oder technologische Entwicklungen vorherzusagen. Ein innovatives Produkt kann zum Beispiel auf der Annahme basieren, dass Kunden bereit sind, für eine bestimmte Lösung zu zahlen. Oder, dass eine technologische Innovation die Produktionskosten drastisch senken kann. Doch wie kann man sicher sein, dass diese Annahmen korrekt sind? Annahmen sind nicht schon deshalb wahr, weil sie plausibel klingen. Genau deshalb versuchen wir stichhaltige Belege – am besten durch Daten unterfüttert – zu finden.
Wie lassen sich Hypothesen im Geschäftsumfeld finden?
Doch wie lassen sich Hypothesen finden, die überprüft werden sollten?
Ein Weg ist es, sich zunächst Fragen zu stellen, die sich aus der Natur eines Geschäfts ergeben, etwa:
- Wer sind die Hauptwettbewerber?
- Welchen Schmerzen haben die Kunden?
- Wie lässt sich der Kundenwert steigern, nur umgekehrt: was könnte fehlen, was lässt den Kunden an der Lösung zweifeln?
Durch Brainstorming und kreative Teamarbeit entstehen Hypothesen, die als potenzielle Antworten auf diese Fragen gelten. Aber auch die Business Model Canvas kann helfen: gehen Sie einfach alle neun Felder im Canvas durch und schauen einmal, welche vielleicht noch nicht näher untersuchten Annahmen sich in jedem der Felder verstecken.
Kriterien einer robusten Geschäftshypothese
Es ist wichtig, zwischen einer einfachen Annahme und einer soliden Hypothese zu unterscheiden. Eine robuste Hypothese sollte:
- Klar und präzise sein.
- Messbare Kriterien haben.
- Eine spezifische Zielgruppe oder einen Markt betreffen.
- Getestet und entweder bestätigt oder widerlegt werden können.
Der Weg von der Idee zum erfolgreichen Produkt ist oft gepflastert mit Annahmen. Diese Annahmen, wenn sie richtig sind, können den Unterschied zwischen Erfolg und Misserfolg ausmachen. Die Validierung von Hypothesen in der Geschäftsmodellentwicklung und bei Innovationen ist daher ein entscheidender Schritt. Dabei geht es nicht nur darum, die Richtigkeit einer Annahme zu überprüfen, sondern auch darum, frühzeitig Fehlannahmen zu erkennen und Korrekturen vorzunehmen.
Wichtig ist immer, dass nicht nur die Annahme formuliert wird, sondern auch die Art und Weise wie diese messbar validiert werden kann.
- Wir glauben , dass [Eigenschaft] zu [Ergebnis] führen wird. Wir werden wissen, dass es uns gelungen ist, wenn [wir ein messbares Zeichen sehen].
- Wir glauben , dass [Kundengruppe] [dieses Feature der Lösung anwenden wird] wird, was aus [diesem Grund] zu [einem erwarteten messbaren Ergebnis] führen wird.
- Wenn [Auslöser], dann [Ergebnis], weil [Grund].
- Wir glauben daran, dass wir mit [Lösungseigenschaft] für [Persona/Kundengruppe] [die folgende Wirkung] erreichen werden.
Schritte zur Hypothesen-Validierung
So können Sie bei der Validierung vorgehen:
- Definition der Hypothese:
Beginnen Sie mit einer klaren und präzisen Formulierung Ihrer Hypothese. Diese sollte messbar und überprüfbar sein. Ein Beispiel könnte sein: “Wir glauben, dass durch die Implementierung von Feature X die Kundenbindung um 20% steigt.” - Daten sammeln
Um eine Hypothese zu überprüfen, benötigen Sie Daten. Dies kann durch Marktstudien, Kundenbefragungen oder durch den Prototypen-Test eines neuen Produkts erfolgen. - Experimente durchführen
Ein gezieltes Experiment kann helfen, die Richtigkeit einer Hypothese zu überprüfen. Wenn Sie beispielsweise annehmen, dass eine Preissenkung zu höheren Verkaufszahlen führt, können Sie dies in einem bestimmten Marktsegment testen. Vorher planen Sie das Experiment entsprechend und beschreiben den Test (etwa mit einer eigenen Canvas für den Test) - Ergebnisse analysieren
Nach Durchführung des Experiments ist es wichtig, die Ergebnisse gründlich zu analysieren. Haben wir wirklich alles richtig verstanden? Hat die Preissenkung tatsächlich zu höheren Verkaufszahlen geführt? Wenn ja, in welchem Umfang? - Entscheidungen treffen
Eine Hypothese wird nie endgültig als wahr oder falsch eingestuft werden können, denn sonst müsste das Experiment endlos laufen – dafür hat in der Geschäftswelt aber niemand Zeit. Daher muss der Product Owner bzw. Team basierend auf den Ergebnissen letztlich eine Entscheidung treffen, ob es die Hypothese als validiert ansieht oder ob noch Anpassungen des Experiments erforderlich sind.
Beispiel für die Hypothesen-Validierung
Nehmen wir an, ein Unternehmen möchte eine neue App für Gesundheits- und Fitness-Tracking entwickeln. Eine mögliche Hypothese könnte lauten:
“Die Einführung einer App mit personalisierten Trainingsplänen und Ernährungstipps wird die Anzahl der aktiven Nutzer in der Altersgruppe 25-35 innerhalb von sechs Monaten um 20% erhöhen.”
Um diese Hypothese zu testen, könnte das Unternehmen einen Prototyp der App erstellen und diesen einer ausgewählten Gruppe von Nutzern zur Verfügung stellen. Feedback-Sessions, Nutzungsstatistiken und andere Metriken können dann helfen, die Hypothese zu bestätigen oder zu widerlegen.
Fallstricke und Herausforderungen bei der Validierung von Geschäftshypothesen
Die Realität ist viel komplexer als die Laborsituation im Innolab. Die Umsetzung einer Idee wird von vielen Faktoren beeinflusst, die auf den ersten Blick zunächst unwichtig erscheinen oder gar nicht im Blickwinkel waren. Daher ist es enorm wichtig, den gesamten Kontext in den Blickwinkel zu nehmen. Die Validierung von Geschäftshypothesen ist oft unbeliebt, aber ein zentrales Kennzeichen erfolgreicher Innovationen.
Nicht jede validierte Hypothese führt zum Erfolg
Geradezu klassisch ist die Fehlannahme (die immer aber wieder gern gemacht wird), dass eine bestätigte Hypothese automatisch zu einem erfolgreichen Geschäftsmodell führt. Dies ist jedoch nicht immer der Fall.
Zum Beispiel kann eine Hypothese bestätigen, dass Kunden ein bestimmtes Feature einer Produktidee wertschätzen, aber dennoch kann sich bspw. später herausstellen, dass sie nicht bereit sind dafür zu zahlen. Auch kann sich herausgestellt haben, dass der Markt zwar groß genug ist, aber im weiteren Verlauf des Projektes stellt sich heraus, dass der Konkurrenzdruck zu stark ist, so dass sich kaum nachhaltige Margen erzielen lassen. Der Kontext und das Gesamtbild sind entscheidend. Es ist nicht nur wichtig, einzelne Hypothesen zu testen, sondern auch den Markt, die Kunden und die Konkurrenz ständig zu beobachten und zu analysieren. Daher kann eine validierte Hypothese noch keinen Erfolg garantieren, aber zumindest das Risiko für einen Misserfolg bereits etwas senken.
Die Gefahr des Wunschdenkens
Viele halten gern an einer Hypothese fest, auch wenn die Daten dagegen sprechen. Menschen neigen auch dazu, an ihren Ideen festzuhalten, wenn sie viel Zeit und Ressourcen investiert haben. Man spricht in diesem Zusammenhang von sogenannten “versunkenen Kosten”. Bei einem möglichen Scheitern des Projektes sind ein großer Anteil der Mühen und Investitionen “verloren”, weil sie eben sehr spezifisch nur für diese eine innovative Idee aufgewendet wurden.
Dies kann zu einer gefährlichen Bestätigungsverzerrung führen, bei der Daten, die die Hypothese stützen, überbewertet werden, während widersprüchliche Daten ignoriert oder heruntergespielt werden.
Hier ist es wichtig, objektiv zu bleiben und sich nicht von Wunschdenken leiten zu lassen. Denn ein Festhalten an einer falschen Idee wird am Ende noch teurer, die Summe der versunkenen Kosten – der Schaden – ist am Ende als noch größer.
Das Festhalten an einer fehlerhaften Hypothese kann teuer werden, sowohl in Bezug auf verlorene Investitionen als auch auf verpasste Chancen. Hier spricht man auch von Opportunitätskosten.
Unvollständige Daten
Manchmal sind die verfügbaren Daten unvollständig oder nicht repräsentativ. Dies kann zu falschen Schlussfolgerungen führen.
Verändernde Bedingungen
Märkte und Technologien ändern sich ständig. Eine Hypothese, die heute wahr ist, könnte morgen schon irrelevant sein.
Interne Widerstände
Nicht jeder im Unternehmen wird die Notwendigkeit oder den Wert der Hypothesentests sehen. Dies kann zu internen Widerständen und Konflikten führen.
Fazit
Die Validierung von Hypothesen ist ein mächtiges Werkzeug in der Geschäftsmodellentwicklung und bei Innovationen. Sie hilft, Risiken zu minimieren und die Chancen auf Erfolg zu erhöhen.
Dabei ist es wichtig, methodisch vorzugehen und stets einen kritischen Blick auf die eigenen Annahmen und die gesammelten Daten zu werfen. So können Sie sicherstellen, dass Ihr Produkt oder Service den tatsächlichen Bedürfnissen Ihrer Kunden entspricht und auf dem Markt erfolgreich ist. Es erfordert einen kritischen Blick, eine kontinuierliche Analyse und die Bereitschaft, sich von überholten Annahmen zu lösen. Nur dann kann es Unternehmen wirklich dabei helfen, den richtigen Kurs in einer unsicheren Geschäftswelt zu finden.