Experience Economy: von Produkt-Features zu Kundenerlebnissen

Viele Unternehmen behaupten heute von sich, kundenzentriert zu sein und das Kundenerlebnis in das Zentrum der eigenen Strategie zu stellen. Aber was bedeutet es konkret, kundenfreundlich zu sein und den Kunden ins Zentrum zu setzen. Behauptet das nicht im Grunde jedes Unternehmen? Wenn Kundenzentrierung mehr sein soll als ein Buzzword, muss sie im Produktmanagement konkret gelebt werden und echte Wettbewerbsvorteile erzielen.

Doch wie gelingt der Wechsel vom reinen Produktdenken zur Gestaltung ganzheitlicher Kundenerlebnisse?

 

Amazon, Apple, BMW – alle kundenzentriert

Das Internet ist voll von Beispielen kundenzentrierter Unternehmensstrategien. Zu Amazons Vision gehört es beispielsweise, „das kundenorientierteste Unternehmen der Welt“ zu sein. [2] Dies möchte das Unternehmen durch kundenorientierte Innovationen, niedrige Preise, eine große Auswahl und praktische Dienstleistungen erreicht. BMW möchte gar „ein neues Gefühl der Interaktion des Menschen mit dem Fahrzeug“. Die reale und digitale Welt sollen in der Idee von BMW zu einem neuen Mobilitätserlebnis verschmelzen. [3] Und Apple möchte nicht weniger als ein Ökosystem schaffen, das intuitive, angenehme und sichere Nutzererlebnisse bietet. [4]

Es fällt auf: nicht das Produkt oder einzelne Features stehen im Zentrum, sondern das Erleben!

Kundenzentrierung wird in diesen Unternehmen konkret umgesetzt:

  • Amazon bietet mit ‚1-Click Ordering‘ und personalisierten Produktempfehlungen ein nahtloses Einkaufserlebnis.“

  • BMW integriert digitale Services wie den ‚BMW Intelligent Personal Assistant‘, der sich an die individuellen Vorlieben des Fahrers anpasst.

  • Apple schafft durch die enge Integration von Hard- und Software ein intuitives Benutzererlebnis über alle Geräte hinweg.“

Kundenzentrierung ist also mehr als ein Lippenbekenntnis – sie muss konkret erlebbar werden.

Diese strahlenden Beispiele erfolgreicher Unternehmen helfen jedoch kaum weiter, wenn man noch ganz am Anfang steht. Fragen wir daher anders: wie kann man jede Eigenschaft eines Produkts und in jede Begegnung mit dem Kunden zu einem positiven Erlebnis machen? Und wie kann man starten?

 

Nur wer die Erlebnisdimensionen versteht, kann echte Mehrwerte schaffen

Bevor man sich an die Arbeit macht und einzelne Aspekte rausgreift dun zu optimieren versucht, ist es sicherlich wichtig, sich über die Eigenheiten eines als positiv wahrgenommenen Erlebnisses aus Nutzer- bzw. Kundensicht im Klaren zu sein.

Für Lemon & Verhoef (2016) ist das Kundenerlebnis ein „multidimensionales Konstrukt, das die kognitiven, emotionalen, verhaltensbezogenen, sensorischen und sozialen Reaktionen eines Kunden auf das Angebot eines Unternehmens während der gesamten Customer Journey umfasst.“ [1]

Dieses ganzheitliche Verständnis ermöglicht es Produktmanagern, über reine Produktmerkmale hinauszudenken und Erlebnisse zu gestalten, die Kunden wirklich begeistern.

Der Kunde bewertet demnach auf verschiedenen Ebenen:

  • Kognitive Ebene: Wie versteht und bewertet der Kunde das Produkt
  • Emotionale Ebene: Welche Gefühle löst das Produkt bzw. die Interaktion aus?
  • Sensorische Ebene: Welche Sinneseindrücke werden angesprochen?
  • Soziale Ebene: Wie beeinflussen soziale Interaktionen und Peer-Meinungen das Erlebnis?
  • Verhaltensbezogene Ebene: Wie verhält sich der Kunde in Folge seiner Erfahrung?

Auch ein rational sehr vorteilhaft erscheinendes Produkte mit einem hohen Nutzen in seinen  Kerneigenschaften kann also durchaus zu einem nur mittelmässigen oder sogar schlechten Kundenerlebnis und Bewertung führen. Jeder kennt das: in einem Restaurant mit langer Wartezeit und unfreundlichen Kellnern kann einem das feinste Essen madig gemacht werden.

Hinzu kommen noch unterschiedliche Wahrnehmungen und Prioritäten zwischen den Kundentypen. Dabei hilft in der Praxis das Persona-Modell, diese Abweichungen vom „Standard-Kunden“ zu modellieren.

 

Kundenerlebnis ist ein Prozess, keine Momentaufnahme

Das Customer Experience (kurz CX ist keine Momentaufnahme. Es verändert sich in seinem zeitlichen Verlauf, sodass einzelne Dimensionen in den Vorder- oder Hintergrund der Wahrnehmung rücken können. Je nachdem wie weiter der Kunde auf seiner Reise ist, ändert sich die Grundlage seiner Bewertung des Angebots.

Somit lassen sich einzelne Kontaktpunkte auch nicht isoliert betrachten, sondern nur im Kontext des  Gesamterlebnisses, das sich aus allen direkten und indirekten Interaktionen über die gesamte Kundenreise (Customer Journey)  ergibt. Zum Beispiel kann eine isoliert als sehr freundlich wahrgenommene Kundenkommunikation in einer Phase der Kundenreise, wo es auf Tempo und Schnelligkeit ankommt, als umständlich, ja sogar als gängelnd wahrgenommen werden. Es entscheidet also immer der Kontext des Touch Points vor dem augenblicklichen Ziel des Kunden innerhalb seiner Kundenreise.

 

Experience schlägt Produkt – Unternehmen müssen vom Produktdenken zur Erlebnisgestaltung wechseln

Traditionell lag der Fokus im Produktmanagement auf der Maximierung des Customer Lifetime Value (CLV) – also dem Wert, den ein Kunde für das Unternehmen generiert.

Der Customer Lifetime Value (CLV) ist eine Kennzahl, die den durchschnittlichen Gewinn oder Umsatz angibt, den ein Kunde über die Dauer seiner Kundenbeziehung zu einem Unternehmen erzielt. [5] In dieser Sichtweise steht das Unternehmen im Zentrum, der Kunde dient dem Unternehmen durch höhere Gewinne oder Umsätze.

Im Zeitalter der Experience Economy verschiebt sich der Fokus auf den Wert, den das Unternehmen für den Kunden schafft.

Das bedeutet:

  • Nicht mehr nur Features zählen, sondern wie sich das Produkt in das Leben des Kunden einfügt und welche Erlebnisse es ermöglicht.
  • Produkte werden zu Plattformen für Erlebnisse, die durch Services, Community und Interaktionen angereichert werden.

Unternehmen mit dem Fokus auf das Erlebnis sind erfolgreicher als Wettbewerber mit ähnlichen Produkten. Tesla verkauft nicht nur Autos, sondern ein Fahrerlebnis mit futuristischem Design, innovativer Technologie und einer starken Community. Dies unterscheidet sie von traditionellen Autoherstellern.

 

Produktmanager sind Gestalter von Erlebnissen – nicht nur von Features

Dabei müssten Produktmanager eigentlich in jedem Unternehmen, das sich selbst als kundenzentriert versteht nicht nur für Features und Releases verantwortlich sein, sondern das Kundenerlebnis aktiv mitgestalten. Heute muss über Produkteigenschaften hinaus gedacht werden.

Es ist zwar gut und schön, wenn Produktmanager mit Modellen wie der Value Proposition Canvas, dem Jobs-to-be-Done-Framework oder dem Kano-Modell Features und Produkteigenschaften  identifizieren, die einen möglichst hohen Kundenwert generieren.

Jedoch werden nur in den wenigsten Fällen damit einhergehend auch die mehrdimensionalen und sich im Zeitverlauf verändernden Erlebnisse wirklich intensiv und systematisch betrachtet. In einem hochdynamischen Wettbewerb zunehmend austauschbarer Produkte kann das Erlebnis den entscheidenden Unterschied machen.

Produktmanager können durch gezielte Optimierung der Onboarding-Prozesse oder durch proaktiven Kundensupport in kritischen Phasen der Journey einen positiven Eindruck hinterlassen.

Dem neuen Rollenverständnis folgend ergeben sich konkrete Verantwortlichkeiten des Produktmanagers für das Kundenerlebnis. Zum Beispiel könnten Produktmanager verantwortlich zeichnen für die Definition von Experience-KPIs, die Durchführung von User Research und die enge Zusammenarbeit mit UX Designern, um ein nahtloses Kundenerlebnis zu gewährleisten.

 

Omnichannel-Komplexität fordert funktionsübergreifende Zusammenarbeit und Co-Creation

Die Vielzahl an Kanälen (Omnichannel), die Fragmentierung der Medienlandschaft und die wachsende Rolle von Kunden-zu-Kunden-Interaktionen (z.B. Social Media) machen die Steuerung der CX komplexer denn je.

Eine typische Omnichannel-Problemlage ist, wenn Kunden den Kaufprozess auf dem Smartphone beginnen, ihn am Desktop fortsetzen und ihn im Laden abschließen. Wenn die Daten nicht synchronisiert sind, entsteht ein inkonsistentes und frustrierendes Erlebnis.

Produktmanager müssen daher:

  • Touchpoints entlang der gesamten Journey identifizieren und priorisieren,
  • funktionsübergreifend mit IT, Marketing, Service und externen Partnern zusammenarbeiten,
  • die Kontrolle über die Experience teilen und auf Co-Creation mit Kunden setzen[1]

 

Customer Journey Management gelingt nur, wenn Silos aufgebrochen werden

Das Konzept der Kundenreise wird heute in vielen Marketing-Abteilungen eingesetzt, allerdings meist zur Steuerung von Kampagnen und einzelner Marketing-Maßnahmen. Marketing und Produktmanagement leben in den meisten Unternehmen relativ losgelöst voneinander. Produktmanagement und Marketing müssen hier Hand in Hand arbeiten.

Die Customer Journey ist heute nicht mehr linear, sondern geprägt von Sprüngen zwischen Kanälen, Medien und Touchpoints. Für Produktmanager ergeben sich daraus folgende Herausforderungen:

  • Fragmentierung der Touchpoints: Kunden wechseln fließend zwischen Online, Offline, Mobile und Social Media.
  • Weniger Kontrolle: Peer-Meinungen und soziale Medien beeinflussen die Wahrnehmung und Nutzung des Produkts.
  • Integration von Funktionen: IT, Service, Marketing und Operations müssen gemeinsam an einer konsistenten Experience arbeiten[1].

Chancen entstehen vor allem durch:

  • Gezielte Orchestrierung der Touchpoints, um Brüche in der Journey zu vermeiden.
  • Nutzung von Kundendaten zur Personalisierung und Optimierung der Experience in Echtzeit
  • Co-Creation mit Kunden durch Feedback, Beta-Programme und Community-Building.

Die Komplexität der Customer Journeys, die Vielzahl an Touchpoints und die zunehmende Bedeutung sozialer Interaktionen fordern ein Umdenken in der Produktentwicklung und im Management.

 

Was können Produktmanager tun?

Best Practices für Produktmanager könnten sein:

Herausforderung Ansatz für Produktmanager Beispiele
Identifikation relevanter Touchpoints Customer Journey Mapping, Priorisierung nach Impact Airbnb identifiziert die wichtigsten Touchpoints für Gastgeber (z.B. Inserat erstellen, Gast kontaktieren, Bewertung erhalten) und optimiert diese kontinuierlich.
Konsistenz über Kanäle Omnichannel-Strategie, enge Abstimmung mit anderen Teams Starbucks bietet ein einheitliches Erlebnis, egal ob Kunden per App, im Laden oder online bestellen.
Integration von Feedback Agile Methoden, kontinuierliche User-Tests, Community Tesla nutzt kontinuierliches Kundenfeedback, um Software-Updates zu entwickeln und das Fahrerlebnis zu verbessern.
Steuerung der Experience Entwicklung von Experience KPIs, Monitoring & Analytics Netflix verwendet Daten über Sehgewohnheiten, um personalisierte Empfehlungen zu geben und die Nutzerbindung zu erhöhen.
Social Influence Community Management, Influencer-Programme Sephora fördert eine aktive Community in den sozialen Medien und arbeitet mit Beauty-Influencern zusammen, um die Markenbekanntheit zu steigern.

 

Das Erlebnis macht den Unterschied

Wettbewerbsvorteile entstehen heute durch differenzierende Kundenerlebnisse – Features allein reichen nicht mehr aus. Eine Neuorientierung auf das Kundenerlebnis bedeutet für Produktmanager daher.

  • Produkte sind nicht mehr Selbstzweck, sondern Teil eines ganzheitlichen Erlebnisses. Allein Produkt-Features nach ihrem Kundenwert zu sortieren reicht nicht mehr aus.
  • Wettbewerbsvorteile durch Erlebnisse: Die Fähigkeit, Erlebnisse zu gestalten und zu steuern, wird zum entscheidenden Wettbewerbsvorteil. Das erfordert neue Kompetenzen, funktionsübergreifende Zusammenarbeit und ein tiefes Verständnis der Kundenperspektive – über alle Touchpoints und Phasen der Customer Journey hinweg[1].

Produktmanager, die diese Perspektive einnehmen, gestalten nicht nur bessere Produkte, sondern nachhaltige, differenzierende Kundenerlebnisse.

Kundenzentrierung ist kein Nice-to-have, sondern ein Must-have für Produktmanager. Wer das Kundenerlebnis in den Mittelpunkt stellt, schafft nicht nur zufriedenere Kunden, sondern auch nachhaltige Wettbewerbsvorteile und langfristigen Unternehmenserfolg.

 

 

 

Quellen

[1] Lemon, K. N., & Verhoef, P. C. (2016). Understanding Customer Experience Throughout the Customer Journey. Journal of Marketing, 80 (6), 69-96. https://doi.org/10.1509/jm.15.0420

[2] Amazon, Grundsätze kundenorientierter Innovation, geladen am 22.4.2025, Link: https://aws.amazon.com/de/executive-insights/content/the-imperatives-of-customer-centric-innovation

[3] BMW, Vision Neue Klasse,  https://www.bmw.com/de/freude/bmw-vision-neue-klasse-x.html

[4] Schmitz, Justin (2025), Apple – Wie das Unternehmen durch User Experience profitiert, https://justinschmitz.de/blog/ux-apple

[5] Qaultrics, Customer Lifetime Value (CLV) – Definition & Berechnung, https://www.qualtrics.com/de/erlebnismanagement/kunden/customer-lifetime-value/

 

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