Wie aus Innovation Alltag wird – und warum du das Verfallsdatum deiner Features kennen musst
„WLAN unterwegs – immer noch ein Desaster.“
So habe ich 2012 geschrieben. Damals war es tatsächlich ein kleines Abenteuer, im Hotelzimmer oder im ICE eine stabile Internetverbindung zu finden. Man stand an der Rezeption, bekam einen Zettel mit einem kryptischen Code aus dem Thermodrucker und hoffte, dass wenigstens eine halbe Stunde Verbindung zustande kam, bevor das Netz wieder verschwand. Im Rückblick wirkt diese Klage, als stamme sie aus einer fernen Epoche.
Wir reden von einer Zeit, in der mobiles Internet ein Nischenphänomen war. 2007, vor dem iPhone, bestand „online unterwegs“ meistens aus WAP-Seiten, die aussahen wie Faxgeräte in schwarzweiß. Dann kam das iPhone und veränderte alles. Es machte always on nicht nur technisch machbar, sondern zu einer kulturellen Selbstverständlichkeit. Plötzlich war online sein keine Option mehr, sondern ein Lebensgefühl. Ein Versprechen, dass Information und Kommunikation immer verfügbar sind.
Innovation verschiebt die Messlatte schneller, als uns lieb ist
Das Kano-Modell hilft mir, diese Verschiebung zu verstehen. Es unterscheidet Basisfaktoren, die niemand mehr wahrnimmt, Leistungsfaktoren, die Zufriedenheit proportional steigern, und Begeisterungsfaktoren, die Wow-Momente erzeugen. Doch Features bleiben nie dort, wo sie einmal eingeordnet wurden.
Kostenloses WLAN war 2012 noch ein echter Delighter. Heute ist es ein Basisfaktor. Wer es nicht bietet oder schlecht umsetzt, kassiert negative Bewertungen. Kein Kunde bedankt sich, wenn es läuft – sie beschweren sich nur, wenn es ausfällt. Das Entscheidende: Innovation hebt die Messlatte. Und zwar ständig.
Was gestern noch begeistert hat, gilt heute als selbstverständlich
Dieses Muster findest du in jeder Branche. Ein Navigationssystem im Auto? Früher ein Luxus, heute Standard. Same-Day-Delivery im E-Commerce? Einst Differenzierungsmerkmal, jetzt Hygienefaktor. Mobile-Banking? Damals innovativ, heute Pflicht.
Man kann es drehen und wenden, wie man will: Features altern. Sie verlieren ihre Strahlkraft, weil Kunden permanent neue Referenzrahmen entwickeln. Was einmal außergewöhnlich war, wird zum selbstverständlichen Teil des Produkts.
Auch was heute noch glänzt, wird morgen bleich
Schau dich um: Die Innovationen von heute – KI-gestützte Assistenten, personalisierte Produktempfehlungen, Predictive Maintenance, autonome Logistik – sind morgen keine Differenzierung mehr, sondern Standard. Was heute Wow-Effekt auslöst, wird in wenigen Jahren Basisfaktor sein.
Als Produktmanager solltest du nicht nur planen, was du entwickelst, sondern wann es seinen Glanz verliert. Die Frage ist nicht, ob deine aktuellen Highlights verblassen. Die Frage ist nur, wie schnell.
Relevanz entsteht nicht durch nostalgisches Festhalten am Status quo, sondern durch den Mut, die nächste Welle zu reiten, bevor alle anderen es tun.
Relevanz entsteht nur, wenn du das Verfallsdatum deiner Features kennst
Vielleicht ist das die größte Lektion der letzten 13 Jahre: Innovation frisst Zeitgefühl. Wir überschätzen, wie lange ein Vorteil Bestand hat, und wir unterschätzen, wie schnell sich Erwartungen normalisieren. 2007 fühlte sich ein Smartphone wie Science-Fiction an. 2012 war WLAN unterwegs ein Wow. 2025 ist es Luft.
Wenn du Produkte entwickelst, reicht es nicht, neue Features einzuführen. Du musst auch den Mut haben, ihr Verfallsdatum zu erkennen. Du musst akzeptieren, dass aus dem Wow ein Muss wird. Und du brauchst den Willen, das nächste Wow rechtzeitig vorzubereiten.
Alles andere ist Thermodrucker-Romantik.