Der Masterplan

    Google & Co. haben einen Masterplan. Sie sind entlang der gesamten Mobile Customer Journey präsent.
    Und damit stehen Sie in krassem Gegensatz zu vielen deutschen Firmen. Diese doktorn nämlich gern mal an einzelnen Internet-Projekten herum, ohne eigentlich eine Vorstellung davon zu haben, wo sie als Unternehmen in der digitalen Ökonomie in zehn Jahren stehen wollen.
    Richtig klar wurde mir das während meiner Zeit im Telekom-ThinkTank, wo ich unter anderem mit dem Thema „Mobile Retail“ betraut war. Vielleicht macht es einem Mut, einmal weiter und größer zu denken, wenn man den Auftrag dazu von einem DAX-Vorstand erhält. Aber eigentlich müsste es jeder tun, der sich mit Internet-Projekten beschäftigt und jeder Firmenlenker und Produktverantwortliche sowieso.
    Hoch hinaus
     
    Und man sollte auch Dinge hinterfragen, die auch in Fachkreisen nicht diskutiert werden. So heisst es etwa, Mobile Commerce sei die Zukunft und dass erst wenige Online-Händler ihre Shops auf mobile Bildschirmgrößen optimiert hätten. Solche Aussagen hinterfragt ja meist keiner.
    Ist ja auch nicht ganz falsch – führt aber in die Irre. Denn der eigentliche Clou beim mobilen Handel ist doch gerade, dass die Nutzer unterwegs sind.

    Da macht es eigentlich wenig Sinn, Nutzern Versandhandelsangebote aufs Handy zu schicken. Manche Nutzer wollen vielleicht tatsächlich gerade etwas für Zuhause bestellen, aber normalerweise ist der mobile Nutzer doch gerade in irgendeiner Sache verstrickt (Taxi fahren, Eis essen, auf der Suche nach einer öffentlichen Toilette). Situationen, in denen Otto-Normalnutzer nicht gerade an Zalando denkt. Im Grunde leitet sich “Mobile Commerce” ja schon begrifflich vom “E-Commerce” ab.
    Aber darum geht es nicht. Es geht nicht ums Hier und Jetzt.
    Es kommt weniger auf den Content, als auf den Kontext an. Nicht was ein Nutzer sucht, sondern, wann, wo und weshalb er es tut, sollten im Vordergrund stehen. Damit wird klar, dass die Art und Weise, wie wir heute durch das Web surfen, in der mobilen Nutzung nicht der Weisheit letzter Schluss ist.
    Das gesamte User Experience Design sollte dieser Erkenntnis Folge leisten. On-the-go habe ich wenig Zeit, um zu surfen. Kontext und Relevanz und damit auch automatisch das Thema Big Data nimmt eine wichtige Rolle ein, wenn es darum geht, dem gehetzten User von morgen die richtigen Inhalte zu präsentieren. Es wird also weniger Surfen sein und mehr kontextbezogene Assistenz, die die Apps der Zukunft leisten müssen.
     
    US-Firmen haben einen digitalen Masterplan
    Für ein Unternehmen wie Google könnte so etwas durchaus gefährlich werden – schliesslich lebt die Firma (und das halbe Internet) von der Logik, die auf Suchbegriffen basiert. Aber Google hat durchaus verstanden und ist ja mittlerweile auch auf anderen Feldern unterwegs, die wichtige Einstiegspunkte in den Kontext der Nutzer sind. Warum macht Google Apps für Karten und Navigation? Um in den Reisemarkt einzusteigen? Mit Sicherheit nicht!
    Für mich persönlich war es daher eine Art Entdeckung, dass US-Unternehmen wie Google und Apple – im scharfen Gegensatz zu den meisten deutschen Firmen – eine Art Masterplan zu besitzen scheinen, der am Ende die gesamte Value Chain umfasst. Google spielt die Werbung aus, führt die Nutzer über die eigene Navigation in den Laden und übernimmt dort noch das Payment. Somit wäre der Kreis geschlossen und der Mehrwert, den Google stiftet maximal.
    Man muss sich nur mal vorstellen, welchen Stellenwert das Performance-Marketing bekommen könnte, wenn Google die gesamte Kette kontrolliert. Statt nur pro Klick oder pro Lead bezahlt zu werden, könnte Google einen ganz wesentlichen Teil der gesamten Vertriebsprovision für ein Produkt einstreichen – Experten sprechen da von Cost-per-Sales. Da Google wie bekannt gern mit Auktionsmechanismen spielt, müsste ein Unternehmer im Extremfall bis an den Rand seiner Marge gehen, damit er in dieser Zukunft noch Geld verdienen würde.
    Wenn Google eines verstanden hat, dann ist es, in einer gesamten Mobile Customer Journey denkt und seine digitale Wertschöpfungskette daran ausrichtet.
     
    Sensoren und Nahkommunikation schaffen neues Ökosystem
    Ganz ähnlich scheint Apple zu denken. Das Mitte 2013 recht leise von Apple eingeführte iOS7-Fearture iBeacon hat zu einer neuen Welle spektakulärer Unternehmensgründungen geführt (unter beaconblog.de habe ich übrigens das erste deutschsprachige Portal rund um das Thema Sensorik und Internet der Dinge aufgebaut).
    Und tatsächlich könnten die kleinen Bluetooth-Sensoren und die iBeacon-Schnittstelle von Apple die Welt gehörig ändern. Es könnte sogar mal wieder um das nächste große Ding im Internet zu gehen. Schon heute gibt es geschätzte 250 Millionen Endgeräte, auf denen die neue Technologie funktioniert. Neue Anwendungsszenarien wie Indoor-Navigation, kontaktloses Bezahlen oder Werbung direkt am Point of Sale werden damit möglich.
     
    Gutes Design braucht Kontext
    Wir treten nun endgültig in eine neue Phase der Internetentwicklung ein, in der es nicht mehr um Websites geht, ja auch die Apps rücken fast an den Rand. Der entscheidende Faktor wird sein, den Kontext des Nutzers bestmöglich zu verstehen. Wer weiss, was der durchschnittliche Nutzer am Ende kauft, kann natürlich den Wert von Kontexten und Handlungen am besten einschätzen. Und daher ist es so wichtig, einen digitalen Masterplan für die gesamte User Journey zu haben. Und natürlich die Daten und Auswertungsalgorithmen, um den Kontext herstellbar und nutzbar zu machen. Verkürzt könnte man über das digitale Design der Zukunft sagen: das Frontend ist nichts ohne das Backend.
    Wie die abgeschlagenen deutschen Konzerne hier noch den Anschlus finden sollen, st nicht leicht zusagen (ich will nicht sagen, es sei mir ein Rätsel, denn ich verdiene mit der Beantwortung dieser Frage meine Brötchen). Mit Sicherheit reicht es aber nicht aus, irgendwelche Web- oder App-Projekte an eine Internet-Agentur rauszugeben und zu warten, bis der Erfolg kommt.
    Tatsächlich könnten die Themen Kooperation und Open Source für die Europäische Industrie wieder wichtig werden. Wer es allein nicht hinbekommt, muss eben Allianzen schmieden oder er sollte sich mit der zweiten Liga begnügen. Ich bin mir nicht sicher, ob diese Erkenntnis in den deutschen DAX-Vorstandsetagen zu finden ist. Noch sind nicht alle Träume geplatzt.
     


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    Foto: Transforming Nature Exhibition – Etherow Park, compstall, England by Val Kerry, on Flickr
     

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    Thomas Vehmeier

    Thomas Vehmeier ist Diplom-Volkswirt, Digital-Stratege und Plattformökonom. Online bereits seit 1993, berät er heute Konzerne und mittelständische Unternehmen bei ihrer Internet-Strategie und unterstützt im Interim-Management – zuletzt im ThinkTank des Telekom-CEO, zuvor vor allem für Franchise-Zentralen und Handelsunternehmen.
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