Es gibt Sätze, die wirken wie Versprechen. “Mach, was du wirklich, wirklich willst.” Frithjof Bergmann prägte diesen Satz, als Arbeit noch fest im Korsett industrieller Routinen steckte. Maschinen sollten uns von der Last monotoner Tätigkeiten befreien, damit Raum für Sinn, Kreativität und Selbstverwirklichung entsteht.
Damals schien der Weg klar: Automatisierung würde Freiräume schaffen, Digitalisierung Prozesse beschleunigen, Vernetzung Grenzen überwinden. Ein plausibles Narrativ – bis wir merkten, dass Geschwindigkeit und Effizienz nicht automatisch Bedeutung erzeugen.
Heute ist vieles davon Realität. Arbeit ist entgrenzt, Prozesse sind digitalisiert, Teams arbeiten verteilt und flexibel. Und doch bleibt das Gefühl, dass wir etwas verloren haben. Vielleicht, weil Technologie uns präzise zeigt, wie wir schneller werden – aber nie erklärt hat, wofür es sich eigentlich lohnt.
Effizienz ohne Bedeutung: Die stille Erosion der Sinnhaftigkeit
Sascha Lobo beschrieb einst die digitale Boheme: Menschen, die mit Laptops in Cafés saßen, Mikroprojekte stemmten und Freiheit lebten. Heute ist dieses Modell Mainstream geworden. Plattformen regeln Arbeit in Echtzeit, Remote Work ist Standard, digitale Infrastruktur selbstverständlich.
Doch was oft übersehen wird: Dieselben Mechanismen, die Autonomie versprechen, bringen auch Vereinzelung. Kommunikation wird zur Transaktion, Beziehungen verflachen, Sinn verflüchtigt sich.
Es erinnert an die Banken der Nullerjahre. Damals verdrängten Geldautomaten den persönlichen Kontakt. Transaktionen liefen reibungslos – aber Beratung verschwand, Vertrauen schwand, Loyalität schrumpfte.
Remote Work kann denselben Effekt haben. Wir sprechen über Kollaborationstools, digitale Whiteboards und “Work from Anywhere”. Aber zu oft fehlt das, was Teams wirklich verbindet: gemeinsame Erlebnisse, gelebte Verantwortung, ein geteiltes Warum.
Die Maschinen übernehmen: Wenn KI nicht nur Werkzeug, sondern Akteur wird
Bergmann hatte recht: Maschinen übernehmen Aufgaben, die früher Menschen beschäftigten. Doch er konnte nicht ahnen, dass Software eines Tages nicht nur unterstützt, sondern ganze Arbeitsprozesse selbst organisiert.
Wir stehen am Anfang einer Ära, in der KI-Agenten Aufgaben priorisieren, Workflows steuern und Entscheidungen vorbereiten – oft autonom. Das eröffnet enorme Potenziale. Doch es verführt auch zur Illusion, Technologie könnte Sinn ersetzen.
Frederic Laloux hat in Reinventing Organizations beschrieben, dass Organisationen mehr sind als perfekt geölte Systeme. Sie sind soziale Räume, die Menschen Orientierung geben. Wer digitale Transformation ausschließlich als Effizienzprojekt begreift, baut Maschinen – keine Gemeinschaften.
Remote Work: Effizienz ohne Beziehung?
Transaktionskosten sinken. Der Beziehungswert schwindet. Das ist kein Betriebsunfall, sondern ein systemisches Risiko.
Wer Kultur nicht mit der gleichen Energie gestaltet wie Technologie, läuft in dieselbe Sackgasse wie die Banken:
- Kunden spüren keinen echten Mehrwert mehr.
- Mitarbeitende verlieren Zugehörigkeit.
- Organisationen wirken beliebig.
Digitale Tools sind keine Abkürzung zu Vertrauen. Sie sind nur der Kanal. Die Qualität entsteht durch Haltung, Investition in Beziehungen und bewusste Rituale, die Nähe ermöglichen.
Warum wir Bergmann, Lobo und Laloux gerade jetzt dringend brauchen
Es wäre bequem, all das als nostalgische Rückschau abzutun. Doch viele Ansätze sind aktueller denn je.
Frithjof Bergmann erinnert uns mit seiner Vision von der „Neuen Arbeit“ daran, dass Selbstverwirklichung kein Luxus ist, sondern die zentrale Motivation.
Sascha Lobo hat gezeigt, wie digitale Infrastruktur gleichzeitig befreit und abhängig macht. Und Frederic Laloux hat Organisationen als lebendige Systeme beschrieben, die jenseits von Hierarchie Sinn erzeugen. Auch die Holokratie-Modelle von Brian Robertson könnten uns helfen, Komplexität ohne Machtspielchen zu meistern. Vielleicht sitzen dann in den holokratischen Kreisen in Zukunft neben den Menschen auch Maschinen-Agenten? Warum nicht?
Die Technologie wird die Arbeit für uns nicht neu erfinden. Das bleibt unsere Verantwortung.
Arbeit als Möglichkeitsraum
Der nächste Schritt heißt nicht nur mehr Technologie, sondern andere Technologie: Human-zentrierte KI.
- Damit ist nicht gemeint, nur eine freundlichere Oberfläche zu bauen. Es bedeutet, Systeme zu gestalten, die:
den Menschen befähigen, statt ihn zu ersetzen, - Verantwortung transparent machen,
- uns helfen, die Frage zu beantworten: Was wollen wir erreichen, wenn Effizienz kein Engpass mehr ist?
Denn wenn Maschinen alles schneller und präziser erledigen – woran messen wir dann den Wert unserer Arbeit?
Mehr als Digitalisierung: Ein Plädoyer für Gestaltung
Digitale Transformation war notwendig. Aber sie reicht nicht.
Wer nur digitalisiert, wird erleben, dass Prozesse optimiert sind, aber kein gemeinsames Narrativ entsteht. Dass Menschen effizient liefern, aber innerlich kündigen. Dass Entscheidungen automatisiert werden, ohne dass jemand Verantwortung spürt.
Mehr als Digitalisierung heißt: Arbeit als gestalteten Möglichkeitsraum zu verstehen – als Raum für Sinn, Entwicklung und lebendige Zusammenarbeit.
Remote Work und KI sind mächtige Instrumente. Aber sie sind kein Garant für Zugehörigkeit. Sie sind nur das Fundament. Den Bauplan müssen wir selbst entwerfen.
Fazit: Effizienz ist kein Selbstzweck
Wir haben gelernt, Arbeit schneller zu machen. Jetzt müssen wir lernen, sie besser zu machen.
Denn wer nur digitalisiert, spart Kosten.
Wer gestaltet, gewinnt Zukunft.
Das ist keine technologische Frage. Es ist eine Frage der Haltung.