Don’t believe the Hype: über digitale Moden

    Das soziale Web ist schon lange auf der Höhe des Hypes angelangt. Den einen nerven die dauernden Berichte über Facebook & Co., ein Anderer programmiert insgeheim nach Feierabend schon am nächsten großen Ding.

    Wenn Rupert Murdoch 1,2 Mrd. Dollar für eine Anwendung ausgibt, die sich in 1 Woche programmieren lässt, gibt es Grund genug danach zu fragen, ob wir einen Hype haben und was wir von früheren Kultgegenständen wie dem Zauberwürfel lernen können.
    Insbesondere die Diskussion um twitter und SecondLife haben mich nachdenklich gestimmt. Robert Basic, der Merlin der deutschen Bloggerszene schaut in die Luft und alle folgen. Die meisten wirken dabei etwas ratlos. Aber wenn alle anderen in die Luft schauen, muss ja etwas dran sein…
     
     
    Kleine Ökonomie des Hypes
    Sogar Autokonzerne und die EU meinen, nicht mehr ohne eine eigene Präsenz auf Second Life auszukommen. Zahlreiche Zeitungsartikel versuchen sich in Erklärungen über das Phänomen oder suchen Anwendungsfelder, wie sie etwa Oliver Überholz sehr gewissenhaft für Twitter aufgelistet hat.
    Dabei ist es im Grunde ganz einfach. Die simple Ökonomie hinter SecondLife ist, daß sich viele dafür interessieren, weil sich viele andere dafür interessieren. Der tiefere Sinn solcher Moden scheint im sozialen Element und der Suche nach Anerkennung zu liegen.
     
     
    Im Kern geht es um Bestätigung
    Doch auch wenn es sich bei dem ein oder anderen neuen Dienst um einen Hype handeln sollte, ist davon auszugehen, dass es ein auslösendes Motiv gibt. Etwas was zunächst einen originären Nutzen stiftet und später in den Hintergrund tritt weil sich die Nachfrage nach dieser Sache von dem ursprünglichen Motive gelöst hat…
    Natürlich haben SecondLife, Twitter und andere neue Webdienste ihre Berechtigung. Auch wenn sich mancher Mittdreißiger fragt, was er dort verloren hat, stiften Sie Ihren Nutzern mit Sicherheit irgendeinen Nutzen. Niemand würde sich schließlich auf eine Sache einlassen, die ihm nichts einbringt; sei es in Form von Geld, Anerkennung von anderen oder schlichtweg durch neue virtuelle Bekanntschaften.
    Nun hat für mich persönlich Twitter eher eine Berechtigung als SecondLife und ich bin fast überzeugt, dass sich das Phänomen (in veränderter Form) über die Zeit retten könnte. Aber das beschreibt nur meine persönlichen Präferenzen. Die Bedürfnisse anderer Menschen können durchaus anders liegen.
     
    Rubrik’s Würfel, …
    Forschen wir also nach! Beispiele für Kultgegenstände sind zahlreich vorhanden: Tamagocchi, lässig aus der Hosentasche fallende Schlüsselanhänger, Jojos und – sozusagen als Prototyp: der Zauberwürfel!
    Der Zauberwürfel (der eigentliche Name lautet Rubiks Cube), wurde vom ungarischen Bauingenieur und Architekten ErnÅ‘ Rubik erfunden und am 30. Januar 1975 patentiert. Erno Rubik war Dozent an der Fakultät für Innenarchitektur an der Akademie der angewandten Kunst in Budapest und experimemntierte leidenschaftlich mit 3D-Formen und geometrischen Besonderheiten. Der Würfel war ein Spiel, um seine Studenten anzuregen, sich mit geometrischen Formen auseinanderzusetzen. Immer wenn Erno Rubik ihn seinen Studenten zeigte und einige seiner Freunde damit spielen ließ trat sofort der Effekt ein: sobald jemand den Würfel in den Fingern hatte, war es schwierig, ihn wiederzubekommen!
     
    sein grandioser Erfolg …
    Die Welle erreichte 1981 ihren Höhepunkt und bescherte dem Hersteller Ideal Toy Corporation einen Rekordgewinn. Bis dahin wurden um die 160 Millionen Würfel verkauft. Das anfänglich von deutschen Spielzeugherstellern auf der Nürnberger Spielzeugmesse als intellektuell und wenig marktgängig eingestufte Spiel führte zu einer regelrechten Massenhysterie. Zu einem bestimmten Zeitpunkt wollte einfach jeder einen Würfel haben und war stolz ihn zu besitzen (ohne ihn jemals gelöst zu haben).
    Was hat diese Spirale ausgelöst? Es lässt sich festhalten:

    • spielerische Aufgaben motivieren die Nutzer in entscheidendem Maße und stiften einen eigenen Nutzen,
    • das Motiv, sich mit anderen zu messen steht im Vordergrund,
    • dahinter steht das Motiv nach Anerkennung,

    Interessant ist auch die Tatsache dass das große Interesse am Würfel den Erfinder selbst völlig überraschte und das eine gewisse Zeit verging, bevor überhaupt an die Möglichkeit gedacht wurde, ihn industriell herzustellen. Erst durch den richtigen Partner, der das Potential erkannte, wurde der Würfel ein weltweiter Erfolg.
    Erst danach, ab einem bestimmten Zeitpunkt, spielte der eigentliche Zweck beim Kauf des Würfels vermutlich eine nachgeordnete Rolle und es ging darum, den Kultgegenstand zu besitzen.
     
    … und sein schlagartiges Ende
    Doch Anfang 1982 brach die Nachfrage für den Würfel schlagartig ein und mit ihr auch die Nachfrage nach vielen anderen Knobelspielen. Es dauerte 15 Jahre, bis sich der Markt erholt hatte.
    Das zeigt, dass ein sozialer Hype nicht unbedingt allen hilft, die daran glauben. Dies sollten all diejenigen Berater bedenken, die jetzt durch das Propagieren des sogenannten Social Web kurzfristige Aufträge hereinholen möchten. Auch damals wurde der Markt durch fernöstlichen Kopien überschwemmt und führte somit zu einer schnellen Sättigung. Auf das Thema Web 2.0 übertragen hieße das, dass eben keine Digg-Klone, sondern nur wirklich neue Ideen den Boom weitertreiben werden.
     
    Fazit
    Internet-Erfinder, Unternehmer und auch Risikokapitalgeber können von der Geschichte des Zauberwürfels einiges lernen:

    • Jede Mode auf der Ebene des Hypes ist ein Phänomenen, bei dem Netzwerkexternalitäten wirken und damit ein soziales Phänomen.
    • Allerdings bauen nicht alle Dienste, die Netzwerkeffekte produzieren, nachhaltige Skaleneffekte auf. Dies bedarf eines originären Nutzens, der ausreicht, um auf Dauer zu faszinieren…
    • Die gesunkenen Investitionskosten für die Entwicklung eines Web 2.0-Dienstes veranlassen zu schnellen Betas und zu mehr Experimenten,

    Das Web 2.0 ist kein solides Comeback der New Economy, sondern der Einstieg in eine Ära, die von Moden geprägt sein wird.
    Die Tatsache, dass es Hypes gibt, verweist auf eine starke Selbstreferentialität innerhalb der Blogosphäre um aus dem kleinen Aufschwung der Internetbranche eine nachhaltige Entwicklung zu machen, bedarf es nicht bloß Risikokapitalgeber, sondern eines neuen Unternehmertyp, dem digitalen Verleger, der die Perlen erkennt und grosszüchtet.
    Ich finde den Gedanken interessant, inwieweit die Web 2.0 Technologien die Entstehung von Moden beschleunigen. Wäre die Konsequenz nicht, dass es schlicht und einfach mehr Moden geben würde, quasi ein Long Tail der Moden entstünde, in denen die Mode selbst im Grunde keine mehr ist: nämlich ein Massenphänomen? Das gefällt mir: Moden werden zum Nischenprodukt. Und umgekehrt.
    Vielleicht sollte noch erwähnt werden, dass ErnÅ‘ Rubik noch nicht einmal der erste war, der sich mit dem Thema eines Spiels dieser Sorte beschäftigte.
    Wikipedia klärt auf: “Bereits 1957 entwarf der Chemiker Jarry Nichols ein Spiel dieser Art, das allerdings nur aus 2×2×2 Teilen bestand. Er ließ seinen Entwurf im Jahre 1972 patentieren. 1984 gewann Nichols eine Patentklage gegen die Firma, die den Rubik’s Cube in den USA vertrieb, deswegen heißt der Zauberwürfel dort offiziell Nichols’ Cube.”
    Long Tail und Moden scheinen ja zunächst erst einmal ein Widerspruch zu sein. Aber es spricht vieles dafür, dass dieses Paradoxon eintreten könnte. Eine Webgemeinde, die sich in Form kurzer Moden von Long Tail zu Long Tail bewegt.


    Zweite Auflage, 2013, erste Fassung vom April 2007


     
     
     
     

    Was machen wir daraus? Was sind Ihre Gedanken dazu?

    Ihr

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    Thomas Vehmeier

    Thomas Vehmeier ist Diplom-Volkswirt, Digital-Stratege und Plattformökonom. Online bereits seit 1993, berät er heute Konzerne und mittelständische Unternehmen bei ihrer Internet-Strategie und unterstützt im Interim-Management – zuletzt im ThinkTank des Telekom-CEO, zuvor vor allem für Franchise-Zentralen und Handelsunternehmen.
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