Wann funktioniert Storytelling im Social Web and ab wann beginnt das Anbiedern? Es mag ungerecht sein, aber die Glaubwürdigkeit einer an sich guten Story hängt entscheidend vom Stellenwert der Marke beim Publikum ab.
Menschen haben die – wenn Sie so wollen „schlechte“ – Eigenschaft, entweder zu- oder weghören zu können. Babies können zum Beispiel auch dann schlafen, wenn um sie herum der größte Krach herrscht. Tritt plötzlich ein unerwartetes Geräusch auf, werden sie jedoch wach. Diese angeborene Eigenschaft schützte den Menschen schon zu Urzeiten.
Wurde der Neandertaler noch durch nächtliche Besuche wilder Tiere bedroht, droht der moderne Mensch in einem Informationstsunami ertrinken. Damit er nicht dem Wahnsinn anheimfällt, hilft nur aktives „Weghören“. Die Aufmerksamkeit gilt dem, was relevant sein könnte oder gute Emotionen weckt. Und gute Emotionen weckt nunmal nicht jedermann. Bei einer Geschichte spielt immer auch eine Rolle, wer sie erzählt. Nicht jeder kann einen guten Witz erzählen – und das hat auch immer mit der Perosn zu tun.
Genauso wie sie privat nicht von jedem gestört werden möchten, so freuen sie sich nicht über jede Nachricht eines Unternehmens, dessen Produkte sie gelegentlich kaufen.
Es gibt Marken wie Mercedes oder Apple, die haben eine Gefolgschaft treuer Fans aufgebaut. Die Produkte sind zu einem Teil der Identität der Kunden geworden. Man kann scheinbar gar nicht genug Zeit damit verbringen. Für diese Marken ist es ein leichtes, die Geschichten weiterzuspinnen.
Anders steht es um Marken wie die Deutsche Telekom, RWE. Diese Produkte fallen in der Regel auf, wenn sie nicht funktionieren. Das setzt aber nur sehr selten positive Energien frei. Schmähbegriffe wie „T-Offline“ verbreiten sich dann wie ein Lauffeuer, wenn der Internetzugang mal wieder nicht funktioniert. Über „Hassmarken“ viel also gemeckert und über die Lieblinge viel geschwärmt, obwohl doch in allen Firmen mit Sicherheit genauso hart gearbeitet wird. Auch Telekom, RWE & Co. rekrutieren jedes Jahr Toptalente von den Hochschulen, an der grundsätzlichen Einstellung der Kunden zu ihrem Produkt ändert das wenig.
Wenn die Telekom in der Werbung zeigt, wie Menschen in den Bahnhöfen tanzen, wenn die Lebensversicherung (ERGO) die Kunden damit zitiert, wie authentisch der Service sei, dann bringt das meiner Meinung nach nichts. So blöd sind die Kunden eben doch noch nicht. Jeder weiß, dass die Story Bullshit ist. Beim ERGO-Beispiel ist eben besonders ärgerlich, dass die Vertriebssparte immer wieder mit Bordellbesuchen in den Schlagzeilen war. Ein weiteres Musterbeispiel, wie man sich den Hass der User im Social Web zuziehen kann, ist der Internetkonzern 1&1 mit seiner Kampagne rund um den „Leiter für Kundenzufriedenheit“ Marcel Davis. Den Herrn gibt es wirklich, jedoch ist es bei einem großen Kreis der Kunden mit ihrer Zufriedenheit nicht weit her. Die Kampagne empfanden viele wie Hohn.
Überprüfen Sie daher zunächst, wo Ihr Produkt steht. Liebt man es nur, solange der Service einwandfrei arbeitet, so ist das im sozialen Web zunächst ein klarer Startnachteil. Aber sie können daran nichts ändern.Versuchen Sie also nicht etwas vorzugeben, was sie nicht sind.
Im Falle von 1&1 wäre es klüger gewesen, zuzugeben, dass das Geschäft mit Internetzugängen technisch anspruchsvoll ist und ständig auf kleine Serviceerlebnisse hinzuweisen, die einen wahren Hintergund haben.
Entscheidend ist, worüber Ihr Kunde mit Ihnen reden möchte. Überraschen Sie ihn positiv, wird er auch für neue Aspekte offen. So ist das eben mit der Freundschaft. Die gibt es nicht einfach, weil man sich kennt.
Foto: A Matter of the Heart by Hartwig HKD, on Flickr