- Das Internet war nie einfach nur ein gigantisches Wissensarchiv. Es war ein Markt. Ein Markt, der auf klaren Prinzipien basierte: Aufmerksamkeit wurde zu Reichweite. Reichweite wurde zu Umsatz. Inhalte entstanden, weil Produzenten einen klaren Anreiz hatten: Sichtbarkeit als Währung, Monetarisierung als Ziel.
Selbst Google – der dominante Gatekeeper – hat diesen Mechanismus im Kern gestützt. Die Suchmaschine verteilte Aufmerksamkeit, schuf Preissignale, belohnte Qualität, zumindest im Ansatz.
Von der Marktwirtschaft zur Extraktionsmaschine
Generative KI verändert diesen Deal radikal. Modelle saugen Informationen aus Milliarden Quellen, pressen sie in neuronale Netze und spucken kontextsensitive Antworten aus, die keinen Klick mehr erfordern.
Was früher ein lebendiger Marktplatz gegenseitiger Referenzierung war, wird zur Einbahnstraße: Content rein, abgeleiteter Nutzen raus. Die alten Regeln lösen sich auf. Traffic als Belohnung existiert kaum mehr. Sichtbarkeit wird irrelevant, wenn der Nutzer gar nicht mehr zur Quelle zurückkehrt. Monetarisierung kollabiert, weil Preissignale verschwinden.
Diese Entwicklung ist kein unbedeutender Nebeneffekt. Sie stellt die Grundlage des offenen Netzes infrage. Denn wer Inhalte produziert, muss darauf vertrauen können, dass sie nicht sofort in gigantischen Blackboxen verschwinden und dort stillschweigend monetarisiert werden.
Fair Use als Ausrede für Wertabschöpfung
Fair Use war einmal ein begrenztes Korrektiv – ein Mechanismus, um Bildung, Forschung und Berichterstattung zu erleichtern. Heute wird es als universelle Rechtfertigung genutzt, um ganze Archive kostenlos zu extrahieren.
Ein Beispiel macht das deutlich. Wer bei einer KI eingibt: „Comic-Familie mit gelben Gesichtern, Vater im weißen Hemd, Mutter mit hoher blauer Frisur“, erhält innerhalb von Sekunden eine Illustration, die jeder als Simpsons erkennt. Kein Vertrag, keine Lizenz, kein Honorar.
Diese Praxis ist kein fairer Gebrauch mehr. Sie ist eine systematische Wertabschöpfung, getarnt als technischer Fortschritt.
Wenn Preissignale verschwinden
Das Netz hat immer davon gelebt, dass Inhalte einen Wert hatten, der durch Märkte bestimmt wurde: durch Klicks, durch Abos, durch Aufmerksamkeit. Wenn dieser Wert nicht mehr sichtbar wird, weil KI-Modelle alles in sich aufsaugen, zerfallen die Mechanismen, die Qualität überhaupt finanzieren.
Es entsteht eine paradoxe Situation: Nie war mehr Wissen verfügbar, nie war es leichter, Inhalte zu replizieren – und gleichzeitig wird es wirtschaftlich immer riskanter, neuen Content zu produzieren.
Wer langfristig wettbewerbsfähige Inhalte schaffen will, braucht funktionierende Anreize. Und genau hier liegt das strategische Problem: Eine digitale Ökonomie ohne belastbare Preissignale gleitet in eine Art zentralisierte Planwirtschaft ab. Einige wenige Betreiber riesiger Modelle entscheiden de facto, was genutzt wird, wer Sichtbarkeit erhält, wer verdienen darf.
Die Illusion der Allmende
Es wirkt zunächst charmant, Inhalte als Gemeingut zu begreifen, das jeder nutzen darf. Doch diese romantische Vorstellung einer kreativen Allmende verkennt, dass kein Ökosystem überlebt, wenn der Ressourcennachschub versiegt.
Wenn Content nur noch Rohstoff für Maschinen ist, wird er bald knapp. Denn kein wirtschaftlich denkendes Unternehmen wird dauerhaft in hochwertige Inhalte investieren, wenn kein fairer Ausgleich existiert.
Das Resultat ist eine Tragedy of the Commons in Echtzeit: Was allen gehört, wird ausgebeutet, bis nichts mehr übrig ist.
Traceability als Fundament funktionierender Märkte
Die Lösung liegt nicht allein in strengeren Regeln oder pauschalen Verboten. Sie beginnt mit Transparenz. Ohne belastbare Rückverfolgbarkeit lässt sich nicht feststellen, wer welchen Wert beigetragen hat.
Technologische Ansätze wie Blockchain oder dezentrale Register können helfen, Herkunft und Nutzung eindeutig zu dokumentieren. Erst wenn klar ist, welcher Content in welcher Form in Trainingsdaten eingeflossen ist, können sinnvolle Lizenzmodelle entstehen.
Ein funktionierendes Preissignal braucht Sichtbarkeit. Und Sichtbarkeit entsteht nicht durch zentrale Planung, sondern durch nachvollziehbare Transaktionen.
Mehr Wettbewerb, weniger Plan
Es wird nicht reichen, allein auf Regulierung zu hoffen. Märkte erneuern sich nicht durch Paragraphen, sondern durch Anreize und Wettbewerb.
Neue Plattformmodelle sind gefragt: Lizenzbörsen, freiwillige Pools, marktorientierte Revenue-Sharing-Mechanismen. Systeme, die es Produzenten ermöglichen, selbst zu entscheiden, unter welchen Bedingungen ihr Content genutzt werden darf.
Hier liegt der eigentliche Hebel: dezentrale, transparente und freiwillige Lösungen, die Innovation ermöglichen, statt sie zu blockieren.
Fazit – Die Entscheidung steht jetzt an
KI frisst das Web nicht nur. Sie entzieht ihm die Nährstoffe, wenn wir es zulassen. Ohne Rückverfolgbarkeit, ohne Preissignale, ohne faire Vergütung bleibt am Ende eine gigantische Maschine, die bald nichts mehr zu recyceln hat.
Die Zukunft des Netzes entscheidet sich nicht an der Frage, wie groß ein Modell ist oder wie smart die Algorithmen sind. Sie entscheidet sich daran, ob wir es schaffen, Marktmechanismen zu erneuern – mit Transparenz, Wettbewerb und der Einsicht, dass jeder kreative Beitrag einen Preis verdient.
Es ist keine technologische Frage, sondern eine Frage der Ordnung.