Der Produktmanager (auf denglisch Head of Product) trägt quasi die Rolle des Unternehmers im Unternehmen. Er soll alle Fäden ziehen. In der Praxis verstecken sich jedoch viele Manager hinter der Marktforschung. All die Fragebögen sind jedoch oft nur ein Vorwand, um nicht mit Kunden ins Gespräch kommen zu müssen. Auch sonst gibt es viele Möglichkeiten, die falsche Richtung einzuschlagen.
Warum baut Opel nicht bessere Autos? Warum ist der Kundenservice von 1&1 so durchschnittlich? Warum stürzt Windows nach über 20 Jahren Entwicklungszeit immer noch so häufig ab? Warum kommt die Bahn nicht ausnahmsweise mal pünktlich? Wieso wird die Post so oft verknittert zugestellt?
Kurz: warum bauen Unternehmen nicht einfach bessere Produkte? Würde man eine Umfrage unter BWL-Studenten in Oestrich-Winkel oder den Teilnehmern eines beliebigen BarCamps machen, so scheint diese Frage recht banal. Noch strotzen die angehenden Jungunternehmer nur so von messianischem Optimismus. Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne.
Muss man es also nur einfach so machen wie Steve Jobs? Produkte, die sich gut anfühlen und einfach zu bedienen sind. Das wollen die Kunden doch. Doch die Frage nach einem guten Produkt ist nicht so einfach zu beantworten, wie es auf den ersten Blick scheint. Denn in der Realität entstehen die meisten Produkte nach wie vor in Unternehmen. Auch dort möchte fast jeder, mit dem ich zu tun hatte, seine Produkte am liebsten direkt neben der Marke mit dem Apfel positioniert sehen und viele schwärmen von eigenen Ökosystemen.
Aber warum klappt es dann nicht, wenn sich doch scheinbar alle so einig sind? Auch wenn zu Beginn der Wunsch nach dem einfachen, unglaublich schönen Endprodukt das Team eint – dazwischen stehen allerlei Detailfragen und am Ende oft die Einsicht: irgendetwas ist auf dem Weg von der Idee zum Produkt verloren gegangen.
Oft hat dies damit zu tun, dass man es jedem recht machen will. Und irgendwie hat das mit dem Gruppenprozess zu tun, der sich von der Idee bis zum Produkt entwickelt hat. Am Ende ist oft alles nur ein grosser Kompromiss. Und irgendwie glaubt auch keiner mehr ernsthaft an den Erfolg. Jeder will das Projekt möglichst schnell fertig machen und hinter vorgehaltener Hand in der Kantine machen selbst engste Mitarbeiter schon ihre Witze.
Doch wie kann es so weit kommen?
Antworten gibt es viele, die wenigsten treffen auf alle Fälle zu. Aber zumindest gibt es auch einige Muster, die bei vielen Produktentwicklungen zu beobachten sind. Ich will hier nur einmal fünf von Ihnen vorstellen, die mir so begegnet sind und die einem Produkt richtige Geburtsfehler einhandeln können.
Fehler Nr. 1: Zuviel Marktforschung
Natürlich sollte man mit den Kunden reden, doch wann? Marktforschung kann grundsätzlich nur das bestätigen, wonach gefragt wurde. Zudem können sich die wenigsten Kunden innovative Produkte abstrakt vorstellen. Den Kunden zu fragen, ob er dies oder das bevorzuge, setzt voraus, dass der Kunde den Unterschied kennt, beide Alternativen bereits konsumiert hat. Dies mag bei der Frage nach Weizen- oder Roggenbrot vielleicht funktionieren, scheitert aber bei komplexen und innovativen Produkten. Das iPhone wäre nie als das Ergebnis von Kundenbefragungen entstanden. Offensichtlich gab es jedoch bei Apple Leute, die das entscheidende aus den Kundenstimmen herausfiltern konnten und genug Vorstellungskraft besaßen, dies in Produktideen umzusetzen. Kunden können also nur Impulsgeber sein, die Ideen muss der Unternehmer schon selbst entwickeln.
Fehler Nr. 2: Featuritis
Bleibt man beim Beispiel iPhone, so fehlen dem Produkt wichtige Funktionen, die bei anderen Smartphones wie etwa dem Blackberry seit Jahren Standard sind: Office-Integration, MMS-Versand, Push-Email und so weiter. Doch oft sind die Produkte mit den meisten Funktionen auch die billigsten am Markt.
Prinzipiell gibt es drei Kategorien von Produktfunktionen. In die erste fallen Standardfunktionen, die einfach vorhanden sein müssen, um am Markt zu bestehen. Im Falle des Mobiltelefons also etwa SMS. Zur zweiten Kategorie zählen Eigenschaften, mit denen man sich vom Wettbewerb unterscheiden kann. Zum Beispiel eine hochauflösende Handykamera. Doch erst die dritte Kategorie macht den Verkaufsschlager aus: der WoW-Effekt, der Kunden begeistert. Bei Opel war dies offensichtlich eher selten geworden. Beim iPhone ist es das unglaublich intuitive Bedienerlebnis über den integrierten Touch Screen. Doch es zeigt sich, dass eine vierte Gruppe fehlt: das sind Funktionen, die nicht wirklich benötigt werden. Mein Gefühl ist, dass dies die größte Gruppe ist.
Bei Beachtung von Fehler Nr. 1 (Marktforschung) werden einfach zu viele Kundenideen umgesetzt. Fragt man ein Kind, ob es Vanille- oder Schokoladeneis oder lieber beides haben würde, braucht man nicht lang überlegen, wie die Wahl ausfällt. Kunden verhalten sich meist nicht anders. Nachhaltig ist nicht die Umfrage, sondern die Abstimmung mit dem Geldbeutel. Erst wenn beide Kugeln bezahlt werden müssen, fällt das Ergebnis bescheidener aus. Unternehmer müssen auch diese Entscheidung „fühlen“.
Fehler Nr. 3: Expertentum
Das Parkinson’sche Gesetz besagt, dass eine Steigerung des Personalumfangs weitere Personalausweitungen nach sich zieht. Bilden Sie lieber kleine Teams mit Spitzenleuten und holen Sie die Experten, wenn Sie sie wirklich brauchen. Nicht vorher.
Fehler Nr. 4: Geiz ist geil.
Wenn Sie Spitzenleute kriegen, bezahlen Sie sie auch so. Sonst werden Sie nicht lange Freude daran haben. Als Unternehmer können Sie den Marktpreis auf dem Personalmarkt in der Regel nicht beeinflussen. Gewöhnen Sie sich das Schnäppchendenken ab. Diese Leute kennen Ihren Marktpreis. Und wenn Sie ihn nicht kennen, bezahlen Sie sie dennoch adäquat. Gute Leute haben ein Elefantengedächtnis und nehmen Ihnen das später übel. Man kann Talente nicht einkaufen wie einen MP3-Player bei Saturn. Vergessen Sie das nicht. Im Gegenteil: Um gute Produkte zu bauen, brauchen Sie eine starke Identifikation. Dies setzt Vertrauen voraus.
Fehler Nr. 5: Kreativität ausbremsen
Etablierte Unternehmen haben erprobte Prozesse. Richtig gute Ideen verstossen dagegen. Würden Sie auf alles und jeden Rücksicht nehmen, wären sie nicht wirklich neu. Den meisten Organisationen pflegen auch im Produktmanagement eine Konsenskultur. Zu weitgehende und radikale Gedanken werden zwar gelobt, erhalten aber nicht die notwendige Unterstützung. Disruptive Ideen benötigen Jahre, um sich in der Bilanz positiv bemerkbar zu machen – zu lange für die meisten Manager, werden sie doch in Quartalen oder Wirtschaftsjahren gemessen.
Bestimmt betrifft diese Sammlung an Fehlern nicht Ihr Unternehmen – es hat sich aber bei den Projekten, die ich begleiten durfte, des öfteren zugetragen.
Fotos: Skulptur: „Jean Tinguely’s ‘Heureka’ am Zürichhorn 2012-09-19 18-28-10 (P7000)“ von Roland zh – Eigenes Werk. Lizenziert unter CC BY-SA 3.0 über Wikimedia Commons.