Der Bereich der Krypto-Assets wird regelmäßig von Skandalen heimgesucht, die bei vielen Betrachtern das Vertrauen in Krypto-Anwendungen erschüttert. Vielen Beobachtern stellt sich die Frage, ob diese zyklischen Krisen systemischer Art sind und man von digitalen Vermögenswerten besser die Finger lassen sollte.
Der aktuell noch nachklingende letzte Vorfall ereignete sich am 9. November 2022: binnen weniger Tage fiel der von FTX – der nach Binance zweitgrößten Handelsplatz für Krypto-Assets – emittierte Token ins Bodenlose. In der Folge sanken fast alle öffentlich handelbare Krypto-Assets um mindestens zwanzig Prozent. Für Außenstehende war nicht sofort einsichtig, was genau passiert war.
Der Lehmann-Moment der Kryptoszene
Der Zusammenbruch von FTX und Alameda Research hat einen Bank Run bei vielen Krypto-Plattformen ausgelöst. Viele Benutzer versuchen, ihre Gelder auf sogenannte non-custodial Wallets zu transferieren, die sie selbst kontrollieren oder Geld in Fiat-Währung abzuheben. Letzteres klappt nicht immer, weil die Plattformen einfach Überweisungen einfrieren können – so wie eine klassische Bank das in einem solchen Fall eben auch tun würde. Der Zusammenbruch von FTX war also so etwas wie der Lehmann-Moment der Kryptoszene.
Aber der Reihe nach… FTX wurde 2019 von den beiden MIT-Absolventen Sam Bankman-Fried und Gary Wang gegründet. Bankman-Fried hatte bereits einige Erfolge im Handel mit ETFs und spekulativen Arbitragegeschäften im Kryptobereich. Tatsächlich war es zwischen 2019 und 2020 relativ leicht, erhebliche Arbitragegewinne zu erzielen, in dem Kursunterschiede von Krypto-Assets zwischen verschiedenen Handelsplätze ausgenutzt wurde. In diesem Umfeld gründete Bankman-Fried auch Alameda Research, kein wissenschaftliches Institut, wie man vielleicht vermuten könnte, sondern eine Zockerfirma, die unter anderem eben diese Arbitragegeschäfte machte. Ein Freund von mir, der auch gut programmieren konnte, ließ zum Staunen aller Geld zirkulieren, welches sich in kürzester wunderbar vermehrte. Wer hier mit dem nötigen technischen Grundwissen ausgestattet war und nicht zimperlich agierte, konnte schnell reich werden. Gründliche Menschen wie ich, wollen meist erst einmal verstehen, wie so etwas funktioniert, aber dann ist die Chance schon vertan. Eine verpasste Chance für mich, aber nicht für Bankman-Fried, der nun mit dem nötigen Startkapital für eine weit größere Mission namens FTX ausgestattet war.
Die Nerdversion von Sex, Drugs and Rock’n Roll
In den weiteren Jahren investierten Dickschiffe wie Softbank oder Sequoia Capital in das Unternehmen, welches seinen Hauptsitz 2021 von Hongkong auf die Bahamas verlegte. Prominente wie Gisèle Bündchen warben für FTX, FTX unterstützte den Superbowl, Gründer Bankman-Fried generierte sich als Wohltäter, der mit seinen eigenen FTX-Token in Not geratende Krypto-Projekte stützen wollte. Im Grunde also Sex, Drugs and Rock’n Roll, allerdings die Nerdversion davon, denn Bankman-Fried fuhr privat nicht Lampe, sondern einen alten Toyota.
Im Zentrum der aktuellen Vorwürfe im November 2022 stehen unauthorisierte Transfers von Kundeneinlagen an Alameda Research in Höhe von 10 Milliarden US-Dollar (mit denen dann vermutlich gezockt wurde). Zudem hat FTX einen eigenen Token herausgegeben, der dann über Umwege dazu diente, dem eigenen Unternehmen Sicherheiten zu geben. Als das herauskam, sank der Kurs der FTX-Token (kurz FTT) ins Bodenlose. Und um dem ganzen die Krone aufzusetzen, verschwand genau in dieser aufgehetzten Situation noch eine Milliarde US-Dollar von der Kryptobörse durch nicht autorisierte Transaktionen (was immer das auch heißen mag).
Im Zuge des Absturzes des FTX-Tokens namens FTT wurden sämtliche Kryptowerte mitgezogen, Bitcoin und Ethereum verloren über zwanzig, eigentlich innovative Projekte wie Solana (die derzeit schnellste Blockchain!) verloren sogar fast sechzig Prozent ihres Wertes. Kurz: die Märkte haben das Geld abgezogen, weil sie insgesamt massiv Vertrauen in Krypto verloren haben.
Fehlende Dezentralisierung: Es ist nicht überall Blockchain drin, wo Blockchain draufsteht
FTX war nicht der erste Fall. Wer möchte kann googeln: BlockFi, Voyager Digital, Celsius-Netzwerk und jetzt eben FTX. Wo Geld ist, sind Glücksritter unterwegs, eine Charakterstudie zu Bankman-Fried führt daher nicht weiter. Die eigentliche Frage muss lauten: wie war so etwas möglich? Wie konnte die Compliance derart versagen?
Fakt ist: bei FTX und all den anderen bisher betroffenen Unternehmen handelt es sich um zentralisierte Finanz-Plattformen. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von Centralized Finance (CeFi) und zentralisierten Börsen (CEXs). Benutzer erhalten auf diesen Plattformen zwar Zugang zu Krypto-Assets und können diese handeln, allerdings werden die privaten Schlüssel zu diesen Assets von der Börse (also zentral) verwaltet. Die Einleger haben also keinen direkten Besitz an den Vermögenswerten, sondern wie bei einem Girokonto lediglich einen Anspruch gegen das Unternehmen.
DeFi bislang kaum betroffen
Trotz Ausverkäufen haben dezentrale Börsen (DEXs) wie Uniswap und andere dezentrale Finanzplattformen (DeFi) reibungslos funktioniert. Krypto-Anleger konnten ohne Probleme ihre Krypto-Positionen zu verlassen oder von niedrigen Preisen profitieren und weiter zukaufen. Und hier kommt der wichtige Punkt: auch wenn deren Krypto-Portfolios Wertverluste in Fiat-Währung zu verzeichnen hatten, haben sie nie den Zugang zu ihren Vermögenswerten verloren. Der FTX-Crash kann somit als bestandene Feuerprobe für DeFi bezeichnet werden.
Um das Ganze noch einmal zu betonen: nie waren in dieser Krise irgendwelche Krypto-Assets unsicher, aber zentralisierte Finanzplattformen bieten – zumal aus Offshore-Regionen arbeitend in viele Fällen fast ohne jede Regulierung – auch bei Krypto-Assets keinen wirksamen Schutz vor Missbrauch. Hat das Problem etwas mit Krypto zu tun? Nein! Denn das Counterpart-Risiko gilt für Krypto wie für jedes andere handelbare Asset, das bei einem Intermediär eingelagert wird. Das Risiko tragen stets diejenigen, die ein dezentrales Asset an einer zentralen Börse angelegt hatten. Bedeutet es das Scheitern von Projekten wie Ethereum und dem Konzept der Smart Conrads (auf dem die meisten Innovationen der letzten Jahre basieren)? Ebenfalls nein! Bedeutet es das Scheitern von zentralisierten Krypto-Marktplätzen wie Finance, Kraken, etc.? Kommt darauf an! Ein Scheitern ist aufgrund der Netzwerkeffekte je nach Börsengröße kurzfristig unwahrscheinlich, aber perspektivisch schon möglich, weil ohne sinnvolle Regulierung dort der nächste Scam schon wartet. Denn strukturell sind sich die Fälle ähnlich.
Satoshis Vision ist stärker denn je
Wie bei den Finanzinstituten, die 2008 zusammenbrachen, besteht ihr wirtschaftlicher Anreiz darin, zu wenig zu besichern und mit den Geldern der Nutzer Risiken einzugehen. Sie spielen politische Spielchen und schmeicheln sich den Regulierungsbehörden an, die behaupten, sich um den Verbraucherschutz zu kümmern.
Wir sollten us daran erinnern, was den bis heute im Dunkel bleibenden Bitcoin-Erfinder Satoshi Nakamoto überhaupt inspiriert hat, ein dezentrales Geldsystem zu entwickeln: es war eben dieser Lehmann-Crash des Jahres 2008 und der Manipulationsmöglichkeit von Zentralbanken durch Geldpolitik und Geschäftsbanken durch Shadow-Banking.
Satoshi Nakamoto wollte verhinderte zentrale Entscheidungen und übertrug Finanztransaktionen einer automatisierten Codebasis. Die der Bitcoin-Blockchain innewohnenden Regeln erlauben seitdem jedermann ohne Genehmigung eines Finanzintermediärs an einem alternativen Finanzsystem teilnehmen. Regeln sind öffentlich, gelten für alle werden und automatisch ausgeführt.
Satoshis Botschaft wird daher heute – mehr als eine Dekade nach dem Genesis-Block der Bitcoin-Blockchain – auch durch Weiterentwicklungen wie den Smart Contracts (intelligente Verträge) und den sich daraus ergebenden stärker differenzierten dezentralen Finanzinstrumenten umgesetzt. Die Ethereum-Blockchain und die darauf aufbauenden Second- und Third-Layer-Applikationen stellen daher einen logischen zweiten Evolutionsschritt der “Basisinnovation Bitcoin” dar. Dezentrale Finanzplattformen (kurz DeFi) entwickeln die Krypto-Wirtschaft weiter. Sie sind nötig, um die Transaktionsdienste weiter zu differenzieren.
Daraus sind durchaus innovative und sinnvolle Unternehmen wie Bitpesa enstanden, die etwa durch die Benutzung von Bitcoin as Transferwährung die Transaktionskosten wir den Remissenhandel stark senken konnten und damit vielen afrikanischen Gastarbeitern helfen konnten, die Ged ins Heimatland transferieren mussten. Langfristig ist daher von Wachstumsimpulsen durch dezentrale Finanzplattformen zu rechnen.
Die Zukunft ist dezentral
Auch wenn die Kurse gefallen sind: Satoshis Vision ist durch den Crash nur noch stärker geworden. Die Antwort kann nur lauten: mehr Dezentralisierung.
DeFi-Plattformen sind darauf ausgelegt, die von Bitcoin eingeführten und von Ethereum weiterentwickelten Vorteile zu bewahren: Nichtnotwendigkeit von Erlaubnissen, Transparenz, Pseudonymität, Zensurresistenz und Eigenverwahrung von Vermögenswerten.
Hinweis: Unternehmen, die eigene Krypto-Anwendungen planen, sollten sich daher mit der Entwicklung von Second- und Third-Layer-Anwendungen befassen. Auch die Evaluierung und Vergleich verschiedener Blockchain-Plattformen wie Solana versus Ethereum und dem Abgleich der zugrundeliegenden Business-Ziele ist elementar für die Nachhaltigkeit von Blockchain-Anwendungen. Gern beraten wir Sie im Zuge unserer Technologie-Beratung oder führen entsprechende Workshops mit Ihnen durch.