Man erkennt sie sofort. Sie sind immer erreichbar, immer hilfsbereit, immer tief in den Details. Sie springen in jedes Meeting, um Unklarheiten zu beseitigen, beantworten zuverlässig jede Rückfrage, sortieren Tickets in farbenfrohen Boards. Für viele Teams sind sie unersetzlich. Und doch sind sie genau das: unwirksam.
Wir reden von Produktmanagern, die unmerklich zu Jira Monkeys geworden sind. Sie verwalten Aufgabenlisten, füllen Backlogs auf und jonglieren Stories – so engagiert, dass der eigentliche Geschäftswert darüber verschwindet.
Diese Rollenverschiebung hat System. Denn in vielen Organisationen fehlt die klare Abgrenzung zwischen strategischer Produktführung und operativem Produktmanagement. Produktmanager übernehmen Aufgaben, die eigentlich dem Product Owner zufallen – und verlieren damit ihren Fokus.
Produktmanager und Product Owner – zwei Rollen, ein Missverständnis
Dieses Missverständnis beginnt oft schon in der Begriffsverwendung. Viele Unternehmen setzen die beiden Rollen gleich, weil sie Scrum nutzen oder weil sie glauben, beides ließe sich „in einer Person“ elegant kombinieren.
Doch genau hier liegt der Kern des Problems:
- Der Produktmanager ist strategisch verantwortlich. Er definiert die Vision des Produkts, entwickelt den Business Case, priorisiert Märkte, sichert das Alignment mit der Unternehmensstrategie und verantwortet langfristig den wirtschaftlichen Erfolg.
- Der Product Owner dagegen ist operativ-taktisch tätig. Er pflegt das Product Backlog, priorisiert Features, übersetzt strategische Ziele in umsetzbare User Stories und sorgt dafür, dass das Entwicklungsteam weiß, was als Nächstes zu tun ist.
Der Scrum Guide bringt das auf den Punkt. Dort heißt es:
„The Product Owner is accountable for maximizing the value of the product resulting from the work of the Scrum Team.“
Und weiter:
„The Product Owner is accountable for effective Product Backlog management.“
Kurz gesagt: Der Product Owner kümmert sich darum, was das Team baut – der Produktmanager sorgt dafür, warum es gebaut wird.
In vielen Organisationen bleibt das „Warum“ aber schlicht unbesetzt. Der Produktmanager wird in die operative Rolle gedrückt, weil es keinen echten PO gibt – oder weil die Kultur des Unternehmens operatives Mikromanagement belohnt.
Die Jira-Monkey-Falle
Aus diesem Rollenvakuum entsteht ein vertrautes Bild: Produktmanager verbringen ihre Zeit vor allem damit, Tickets zu sortieren, Rückfragen zu beantworten und Abstimmungen zu moderieren. Das fühlt sich nach Produktarbeit an, ist aber in Wahrheit Beschäftigungsmanagement.
Diese „Jira Monkeys“ genießen oft große Wertschätzung im Team, weil sie jederzeit verfügbar sind und die mühsame Kommunikation nach außen übernehmen. Doch sie verlieren den Blick für das große Ganze. Während sie sich mit Details abmühen, bleibt die Frage unbeantwortet, ob das Produkt eigentlich einen Unterschied macht.
Beschäftigung ist nicht Wirkung
Der Unterschied klingt wie eine akademische Fußnote, ist aber in Wahrheit die wichtigste Weichenstellung überhaupt: Beschäftigung schafft Output, aber selten Wert.
Ein Feature auszurollen bedeutet nicht automatisch, dass es Relevanz hat. Ein Sprint abzuschließen sagt nichts darüber aus, ob er Kundennutzen erzeugt.
Strategisches Produktmanagement beginnt mit dem Mut, genau diese Fragen zu stellen – und sie auch zu beantworten:
- Was ist das Problem, das wir lösen?
- Woran erkennen wir, dass wir erfolgreich sind?
- Wie zeigt sich Wirkung im Geschäftsergebnis?
Viele Jira Monkeys stellen diese Fragen nicht mehr, weil sie längst im operativen Sog des Tagesgeschäfts gefangen sind.
Verantwortung beginnt beim Outcome
Wenn Produktmanager nicht nur Verwalter, sondern Gestalter sein wollen, müssen sie den Mut aufbringen, aus dieser Komfortzone auszubrechen. Das heißt, weniger Zeit damit zu verbringen, jede Detailfrage zu orchestrieren – und mehr Energie darauf zu verwenden, die Outcomes zu definieren und mit dem Business zu verknüpfen.
Es bedeutet, sich klar zur eigenen Rolle zu bekennen: Ich bin nicht der Product Owner. Ich bin für die strategische Wirkung verantwortlich.
Das mag unbequem sein, weil es mehr Konflikte erzeugt und nicht immer für Applaus sorgt. Aber genau darin liegt der Unterschied zwischen Beschäftigung und Wertschöpfung.
Fazit
Die Jira-Monkey-Falle ist kein individuelles Versagen. Sie ist das Resultat fehlender Rollenklarheit, unklarer Prioritäten und einer Kultur, die Fleiß höher bewertet als Wirkung.
Wer sie überwinden will, braucht den Mut, sich selbst und dem Unternehmen eine unbequeme Wahrheit einzugestehen: Output ist nicht die Währung, die zählt. Wirkung ist.
Und genau dafür lohnt es sich, Haltung zu zeigen.