Das transhumane Internet: länger leben mit CRISPR und Blockchain?

    Während die Unternehmen noch über Digitalisierung reden, also dem Wandel vom Analogen zum Digitalen, stehen uns bereits die nächsten Wellen der digitalen Evolution bevor. Es geht um nichts weniger, als um die Digitalisierung des Menschen selbst.
    Das Internet ist weitaus mehr als nur eine einzige Technologie. In den nächsten Jahrzehnten werden wir Wachstum vor allem durch die Vernetzung verschiedener Basisinnovationen erleben, die nicht nur unsere Kommunikation und unsere Wirtschaft, sondern unser Leben selbst von Grund auf ändern. Die tatsächlichen Auswirkungen sind heute noch bei weitem nicht abschätzbar, doch eine Explosion der Innovation ist zu erwarten, wie wir sie bisher noch nicht gekannt haben, ja wie sie bis heute nicht vorstellbar ist.
     
    Vor allem eine Kombination dreier grundlegender Innovationen könnte in ihrer Vernetzung unser Leben grundlegend ändern: Gen-Engineering, Maschinelles und Blockchain.
    Die beiden Technologien, die gerade einen technologischen Durchbruch feiern, sind die Gentechnologie CRISPR/CAS sowie neuere Verfahren der Künstlichen Intelligenz, vor allem das Maschinelle Lernen. Die dritte Superinnovation im Bunde ist Blockchain – eine über das gesamte Internet verteilte, revisionssichere Datenbank, die jede Art von Information und Transaktion speichert und dabei einerseits Pseudonymität, aber auch sichere und integre Datenhaltung verspricht.
    Schon für sich genommen, hat jede dieser Neuerungen das Potential unsere Welt radikal zu verändern. In ihrer Verbindung könnten sie jedoch eine völlig neue Welt schaffen, in der die Gesundheit des Menschen mit dem Internet und den Großrechnern eine völlige Symbiose eingehen und zentrale Geißeln der Menschheit besiegt werden können.
     

    Ungeahnte Möglichkeiten durch Genom-Editing

    Mit dem 2012 entdeckten und umgangssprachlich auch “Genschere” genannten Verfahrens CRIPR/CAS könnten individuelle Gen-Fehler und -Mutationen in lebenden Organismen repariert werden. Das CRISPR/Cas-System gehört zu einer Gruppe von Genom-Editoren, die Gene nach Wunsch im Erbgut aufsuchen, herausschneiden und durch ein anderes Gen ersetzen. Dies ermöglicht im Prinzip eine Vielzahl von therapeutischen Eingriffen.
    Schon in einigen Jahren könnten erste Therapieansätze gegen lebensbedrohliche Krankheiten wie Krebs, Aids, Alzheimer oder Stoffwechselkrankheiten zur Verfügung stehen (hier ein inspirierender TED-Talk von der CRISPR-Entdeckerin Jennifer Doudna). Mittlerweile spricht man gar davon, das menschliche Altern zu verzögern. Wenn sich die Forscher beeilen, könnte CRISPR für Millionen Menschen nicht nur ein längeres, sondern ein länger aktives Leben bedeuten.
    In den USA soll die „Gen-Schere“ CRISPR nun das erste Mal zur Behandlung eines malignen Melanoms eingesetzt werden. Geplant sind drei Änderungen am Genom von T-Zellen, die die Immunabwehr des Körpers gegen den Tumor verstärken sollen. Über einen Zeitraum von zwei Jahren sollen in einer Phase 1-Studie zunächst 18 Patienten mit fortgeschrittenem oder metastasierten, malignem Melanom behandelt werden (Deutsches Ärzteblatt). Sollte die Entwicklung der Verfahren weiterhin so erfolgreich verlaufen wie in den letzten Jahren, so stünde die Medizin vor einem radikalen Wandel von der Behandlung von Krankheitssymptomen hin zu einem personalisierten Design von Gesundheit, vom Reparaturbetrieb zur Gesundheits-Manufaktur mit Chef-Designer.
    Für viele Menschen ist das Genom-Editing eine Hoffnung, denn eine große Anzahl schwerer Krankheiten hat ihr Ursache in einem Gendefekt. Über 73 Millionen US-Amerikaner leiden beispielsweise unter Bluthochdruck, einem der Hauptrisikofaktoren für die koronare Herzkrankheit und den Herzinfarkt. Dazu kommen aber weitere genetische Risikofaktoren. Das Bündel der Herz-Kreislauf-Krankheiten ist heute der Killer Nummer Eins in den westlichen Industrieländern. Es wird viel über gesunde Nahrung, den Einfluss des Rauchens und mangelnde Bewegung geredet – am Ende wird doch auch immer noch an den eigenen Genen gestorben. Dabei wissen die meisten gar nicht über ihr genetisches Risiko und wie ein harmloser Anlass einen tödlichen Kreislauf in Gang setzen kann.
    Die Kosten einer individuellen DNA-Sequenzierung sind in den vergangenen Jahren auf unter tausend US-Dollar gefallen: damit sind wir technisch einer massenhaften Anwendung der neuen Möglichkeiten ein ganzes Stück näher gekommen.
     
     

    Distributed Human Genome Ledger

    Wie wäre es, wenn wir diese genetischen Informationen einfach und massenhaft erheben, auswerten und vergleichen könnten und die daraus ableitbaren Schlüsse medizinisch im Sinne der neuen Möglichkeiten des Gen-Engineering nutzbar wären?
    Die Brücke dahin könnte eine Art ‘Distributed Human Genome Ledger’ mithilfe der Blockchain sein. Darauf könnten sämtliche DNA-Sequenzen veröffentlicht werden und trotzdem durch ihre Eigentümer kontrolliert werden.
    Sicherheit und Vertrauen werden auf der Blockchain nicht von zentraler Instanz oder durch besonders ausgeklügelte Krypto-Algorithmen, sondern durch ein System an Proxies, die gegenseitig die Transaktionen verifizieren, hergestellt. Damit ist ein solches System vom Grundsatz her immun gegen jede Art von Manipulation und Regulierung und könnte sofort starten.
    Sowohl die Sequenzierung selbst als auch der Datentransfer und die Speicherung können über Pseudonyme und Kryptografie verschlüsselt ablaufen. Blockchain ist eine Vertrauensmaschine, die vertrauensvolle wirtschaftliche Interaktion zwischen Parteien ermöglicht, die sich nicht kennen. Zwischen Parteien, die sich vielleicht noch nicht einmal trauen. Parteien, die aber eine Dienstleistung anbieten, die man gern nutzen würde.
     

    Radikale Offenheit von sensiblen Daten

    Die Blockchain-Technologie würde in diesem Fall zum Einsatz kommen, um sensible Daten mit Unbekannten zu tauschen, denen man eigentlich nicht traut, mit denen man aber zu einem bestimmten Zweck kommunizieren und Daten austauschen möchte.
    Hoffnung auf Heilung hat in diesem Szenario nur, wer seine Daten öffentlich macht. Doch würden Sie Ihre kompletten genetischen Informationen ins Internet stellen und der ganzen Welt veröffentlichen?Das ist schwer vorstellbar?
    Eine Tatsache, der wir uns wenig bis gar nicht bewusst sind, ist, dass die die Zahl unserer Kommunikations- und Tauschpartner im Falle sensibler Informationen meist sehr eng begrenzt ist. Dieser Umstand wird selten hinterfragt, denn es geht ja um persönliche Daten. Genau das nimmt die Dynamik aus diesen Märkten, die im Übrigen meist auch noch stark reguliert sind (oft gerade wegen der Möglichkeit des Missbrauchs). Im übrigen beschränkt sich das nicht auf Gesundheitsdaten: denken Sie an vertrauensvolle Dienstleistungen wie Banking, Notariatsdienste oder Versicherungen. Diese Märkte könnten durch die neuen Möglichkeiten der verteilten Datenbanken in der Blockchain eine neue Marktdynamik entwickeln.

    Gerade die radikale Veröffentlichung sensibler Daten schafft neue Märkte

    Die Veröffentlichung von Informationen auf einem sogenannten Public Permissionless Distributed Ledger (also der Blockchain) bedeutet nicht automatisch, dass Sie die Kontrolle über den Zugang zu Ihren Daten verlieren. Sie bestimmen als Inhaber des privaten Schlüssels nach wie vor, wem sie Zugang zu den Daten geben wollen – und auch dann muss (über Pseudonyme) noch kein Bezug zu Ihrer Identität gegeben sein. Dennoch sind ihre Daten veröffentlicht und sie können relativ problemlos abgestuften Zugang darauf ermöglichen – natürlich nur, wenn es Ihnen nutzt. Und hier wird es interessant!
     

    Frankenstein aus der Blockchain?

    Zukunft der Menschheit oder ein digitaler Frankenstein – was steht uns da ins Haus? Viele Genetiker sind besorgt, dass Transhumanisten die neuen Möglichkeiten des Genom-Editing an sich selbst ausprobieren werden, bevor sie erprobt sind. Doch viel interessanter ist doch die Frage, was danach kommt. Was machen wir, wenn sie damit erfolgreich sind?
    Meine Vermutung: dann werden alle Dämme brechen! Angenommen die Vorteile der CRISPR-Technologie wären nachhaltig – würden Sie warten, bis die tödliche Erbkrankheit, die in Ihrem Körper wartet, erwacht? Vermutlich nicht. Eher würden Sie Sie Ihre genkritische Haltung über Bord werfen, rechtzeitig das kaputte Genom ausschalten und noch ein bisschen länger leben! Es werden vermutlich die Chroniker sein, die die neuen Techniken am stärksten einfordern und mit ihren Wünschen die Gesundheitssysteme unter Druck setzen.
    Schaut man sich die grundlegenden Technologiedurchbrüche an, so waren viele Menschen am Anfang besorgt und sind auf den Zug aufgesprungen, sobald die Technologie reif war. Zugegeben: Gen-Tuning mit ein bisschen “CRISPR-Botox” mag befremdlich klingen.
     

    Kambrische Explosion oder Monokultur?

    Freilich ist dies ein Gedankenexperiment – aber in einer Zeit, in der viele Menschen glauben, Fortschritt wäre, wenn Unternehmen Facebook-Pages einrichten und ‘social’ werden und das ‘selbstfahrende Auto’ die Menschen elektrisiert, darf ruhig ein wenig mehr Utopie gewagt werden. Der Autor weist als Hayekianer darauf hin, dass nichts so kommen wird, wie man plant, einschließlich dieser Überlegungen. Friedrich August von Hayek wusste sehr genau, dass jede zu konstruktivistische Planung eine Anmaßung von Wissen darstellt. Dennoch müssen Möglichkeiten ausgelotet werden – und das beginnt oft mit simplen Gedanken – beweisen, ob sich hinter den Gedanken mehr verbirgt müssen erfindungsreiche Unternehmer in der Zukunft klären.
    In “Unwissen und Freiheit in der digitalen Gesellschaft” hatte ich mich kritisch über die totalitären Phantasien der Singularity-Bewegung geäussert, die einen digitalen Transhumanismus mit einer kollaborativen Superintelligenz kommen sehen. Hier zeigt sich tatsächlich eine “Anmaßung von Wissen”.
    Anders sieht es meiner Meinung nach bei der Frage aus, welche Informationen und Daten veröffentlicht werden sollen. Eine “Veröffentlichung unter Vorbehalt” auch für sensible Daten, wie es die Blockchain erlaubt, steigert die Anzahl möglicher Kontaktpunkte für Interaktion, Kommunikation und Transaktion und erweitert damit den menschlichen Möglichkeitsraum. Es handelt sich nicht um ein planerischeres Konstrukt, weil a priori nicht feststeht was die Menschheit aus diesen Informationen macht und weil die Entscheidung bei einzelnen Individuen liegt.
    Es geht um Kosmos, nicht Taxis.

    Was machen wir daraus? Was sind Ihre Gedanken dazu?

    Ihr

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    Thomas Vehmeier

    Thomas Vehmeier ist Diplom-Volkswirt, Digital-Stratege und Plattformökonom. Online bereits seit 1993, berät er heute Konzerne und mittelständische Unternehmen bei ihrer Internet-Strategie und unterstützt im Interim-Management – zuletzt im ThinkTank des Telekom-CEO, zuvor vor allem für Franchise-Zentralen und Handelsunternehmen.
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