Alle Welt redet über Generative AI – und irgendwie reden doch alle aneinander vorbei. Die Technologie ist da, die Erwartungen sind riesig, das Versprechen klingt nach nächster industrieller Revolution. Und doch: In den meisten Unternehmen bleibt der Effekt bislang überschaubar. Ein paar Pilotprojekte hier, ein Chatbot dort – aber von echter Wertschöpfung keine Spur. Besonders wichtig sind wirklich relevante KI Use Cases, die Unternehmen nutzen können.
Warum? Weil viele das Spiel mit der falschen Brille spielen. Sie suchen nach „großen“ Use Cases, strategischen Leuchttürmen oder disruptiven Durchbrüchen. Dabei liegt der wahre Hebel ganz woanders – nämlich in den Hunderten kleinen Aufgaben, die tagtäglich in Meetings, Mails und Managementtools versickern. Aufgaben, die isoliert betrachtet banal wirken. Aber im Kollektiv: ein ungenutzter Produktivitäts-Schatz.
Doch wofür nutzen Unternehmen heute KI? Die Zahlen der Studie von Dates und SparkToro aus 2023 sprachen schon damals eine klar Sprache. Die meiste Anwendungsfekder (KI Use Cases) finden sich überwiegend in kreative Bereichen wie Marketing, Content-Produktion, Bildung oder Programmierung.
Wie Pokorni, Braun und Knecht von der Fraunhofer-Gesellschaft schon 2021 erkannt haben, ist die Identifikation von KI Use Cases für eine nachhaltige, menschenzentrierte KI-Einführung elementar.
These 1: Die Auswahl der Ki Use Cases bestimmt, wie sich die Organisation verändert.
Die richtigen Anwendungsfälle für KI zu finden und in diesen KI Use Cases Implementierungserfahrung zu gewinnen ist entscheidend für den nachhaltigen Fortschritt von KI in Unternehmen. Der wirtschaftliche Wert neuer Technologien entsteht nicht automatisch durch ihren Einsatz – sondern durch die komplementären Veränderungen, die wir um sie herum gestalten. Neue Workflows. Neue Rollen. Neue Entscheidungen. Genau hier hakt es bei GenAI. Denn wer Arbeit nicht fein genug analysiert, wird nie erkennen, wo Maschinen Menschen wirklich ergänzen können, insbesondere wenn es um die Identifizierung und Implementierung von KI Use Cases geht.
Was wir brauchen, ist kein weiteres „Was-kann-KI-für-uns-tun“-Brainstorming. Sondern ein neues Betriebsmodell (Operating Model). Ein System, das beschreibt, wie Wissen fließt, Entscheidungen entstehen und welche Aufgaben und Aktivitäten sich durch KI transformieren lassen – heute schon, nicht erst morgen.
Lasst uns also die Buzzwords beiseitelegen – und die Ärmel hochkrempeln. Denn die GenAI-Revolution beginnt nicht im Strategiepapier. Sondern in der stillen, präzisen Analyse alltäglicher Arbeit.
These 2: Nicht jede Aufgabe ist ein Use Case – erst recht kein Business Case
Viele Unternehmen schießen aktuell mit Generative AI auf alles, was sich bewegt – und wundern sich dann, warum es nicht trifft. Doch GenAI ist kein Gießkannen-Tool für Produktivität. Wer sinnvoll automatisieren will, muss den Blick schärfen – nicht auf Prozesse, sondern auf Aufgaben. Denn in Wahrheit entscheidet sich der Wert von GenAI auf der Mikroebene.
Erst wenn wir Arbeit in Tasks zerlegen, lässt sich erkennen, wo der Mehrwert entsteht: beim Erstellen, Umformulieren, Bewerten, Planen. Oder eben nicht. Ein Meetingprotokoll zusammenfassen? Ja, oft ein klarer Kandidat. Eine tiefgreifende Kundenanalyse mit strategischem Impact? Vielleicht – aber nur mit starker Supervision.
These 3: Die Rechnung mit KI Use Cases geht nur auf, wenn sie vollständig ist
Zu viele Use Cases klingen gut – bis man sie durchrechnet. Lizenzkosten für GPT‑4 sind nur ein Bruchteil der Wahrheit.
Der wahre Preis steckt in Dingen wie:
- Prompt Engineering,
- Qualitätssicherung,
- Human-in-the-loop-Mechanismen,
- Halluzinationsmanagement.
- Governance.
Gute GenAI-Strategie rechnet sauber. Sie fragt: Wie oft tritt der Task auf? Was kostet die manuelle Ausführung? Wie aufwendig ist das Monitoring? Und wie viel Risiko kann ich tragen? Wer das ehrlich bilanziert, stellt oft fest: Die „cleverste“ Lösung ist nicht automatisch die wirtschaftlichste. Aber sie kann es werden – mit der nächsten LLM-Generation. Das Zeitfenster verändert sich permanent. Das hört sich zunächst wie Taylorismus 2.0 an. Aber wir brauchen wirklich Erfahrungen, was eher der Mensch, was eher die Maschine macht. Diese Erkenntnisse können wir nur erlangen, indem wir ausprobieren, messen und lernen.
These 4: Skalierung braucht Struktur – nicht Showcases
Ein einzelner GenAI-Pilot auf einer Konferenzfolie beeindruckt niemanden mehr. Entscheidend ist: Wie viele Anwendungsfälle habt ihr im Blick, wie systematisch bewertet ihr sie, wie schnell lassen sich neue Prototypen testen? Es geht nicht um große Leuchttürme, sondern um kluge Laternen in dunklen Ecken eures Workflows.
Die Unternehmen, die skalieren, denken nicht in Tools, sondern in Workflows. Sie schaffen ein internes Repository von getesteten, evaluierten Aufgaben mit klarer Freigabe-Logik. Und sie machen aus internen Experimenten systematisches Lernen. Das ist der Unterschied zwischen einem AI-Playground und einer echten AI-Strategie.
These 5: Die beste GenAI-Strategie ist eine Lernstrategie
Generative KI verändert sich so schnell, dass jede heutige Entscheidung in einem Jahr obsolet sein kann. Deshalb ist die eigentliche Strategie: schneller lernen als der Markt. Wer dafür sorgt, dass Fachbereiche selbstständig kleine Experimente durchführen können – ohne auf zentrale Freigaben zu warten –, verschafft sich einen echten Wissensvorsprung.
Das setzt Vertrauen voraus und neue Rollen: Prompter, AI-Coaches, Use-Case-Scouts. Vor allem aber ein neues Mindset im Management: Weniger Plan, mehr Lernschleife. Nicht: „Welche drei Anwendungsfälle machen wir 2025?“ Sondern: „Wie bauen wir eine Organisation, die 30 sinnvolle Use Cases in drei Monaten erkennen – und validieren – kann?“
Fazit: GenAI wird nicht in der IT entschieden, sondern in den Tasks
Die besten GenAI-Anwendungen entstehen dort, wo Menschen täglich kleine Entscheidungen treffen. Nicht im Vorstand, nicht in der IT, sondern im Marketing, im Kundensupport, in der Produktentwicklung. Wer seine Use Cases finden will, braucht keinen Innovationsworkshop, sondern eine neue Brille: eine, die repetitive Tasks erkennt, Bewertungskriterien anwendet und Skalierung denkt.
Der Weg zur KI-Wertschöpfung ist kein Moonshot. Es ist ein strukturiertes Task-Mining mit Businessverstand. Und es beginnt heute – mit der einfachen Frage: Wo erledigen wir noch Arbeit, die ein LLM besser, schneller oder günstiger kann?
Quellen und Links:
- POKORNI, Bastian; BRAUN, Martin; KNECHT, Christian. Menschzentrierte KI-Anwendungen in der Produktion. Fraunhofer IAO, Stuttgart, 2021, https://scholar.google.com/scholar?hl=de&as_sdt=0%2C5&q=ki+use+cases&btnG=
- VEHMEIER, Thomas (2024), Ein Interview über die Zukunft von Agile in Zeiten der KI, 12. September 2024, https://www.vehmeier.com/ein-interview-ueber-die-zukunft-von-agile-in-zeiten-der-ki/
- VEHMEIER, Thomas (2024), KI-Prozessautomatisierung: 5 Schritte, die skalieren, https://www.vehmeier.com/ki-prozessautomatisierung/

